»FBI nimmt Richterin fest«, »Regierung schiebt krebskrankes Kind mit US-Staatsbürgerschaft ab«, »US-Regierung schließt Büro für Klimadiplomatie« – das sind nur drei Meldungen aus der Trump-Welt vom zurückliegenden Wochenende.
Zu Jahresbeginn hätte jede einzelne dieser Schlagzeilen noch einen Riesenskandal ausgelöst und Untersuchungen nach sich gezogen. Aber 100 Tage, nachdem Donald Trump zum zweiten Mal das Amt des US-Präsidenten angetreten hat, sind solche Nachrichten deprimierender Alltag. Denn das Stakkato, mit dem der 78-Jährige seit dem 20. Januar »America First« mithilfe von Dekreten umzusetzen versucht, ist beispiellos[1]. Mittlerweile (Stand vom 23. April) sind es 137. Mit ihrer Hilfe umgeht er die beiden Kammern des US-Parlaments, den Senat und das Abgeordnetenhaus.
Die einzige Instanz, die Präsidialdekrete bremsen oder rückgängig machen könnte, sind die Gerichte. Aber sie arbeiten erstens langsam, was Trumps Vorstößen zeitlichen Vorsprung verschafft. Zweitens haben sie nicht die Möglichkeiten, Urteile materiell, also etwa mit Polizeigewalt, umzusetzen. Das wissen die Trumpisten und ignorieren deshalb schlichtweg Gerichtsurteile.
Am 22. April gab Trump dem »Time«-Magazin ein einstündiges Interview. Angesprochen auf seine ersten 100 Tage im Amt, sagte er selbstsicher: »Ich mache genau das, was ich im Wahlkampf versprochen habe.« Der Vorspann des Interviews mit dem 47. US-Präsidenten rückte dagegen zurecht, er habe die USA innerhalb von drei Monaten »destabilisiert« wie kein anderer zuvor in der Geschichte des Landes[2], mit »einem Wirbel aus Machtmanövern, strategischen Wendungen und direkten Angriffen, die Gegner, internationale Verbündete und selbst zahlreiche Unterstützer schockiert zurückgelassen haben«.
Die Geschwindigkeit, mit der Trump in den vergangenen drei Monaten vorging, ist Teil einer Strategie. In griffige Worte gepackt hatte sie sein Ex-Berater aus der ersten Amtszeit Stephen Bannon: »flood the zone with shit« (das System mit Scheiße überfluten). Mit dieser konsequent angewandten Überwältigungsstrategie kommen selbst gestandene Washington-Insider, die sich noch an Richard Nixon erinnern können, nicht mehr mit. Wer gerade mit der Verarbeitung einer Meldung begonnen habe, werde kurz darauf von der Verkündung einer neuen und noch schockierenderen aus der Bahn geworfen, heißt es. Ein Beamter der Trump-Regierung sagte dazu: »Unser Erfolg hängt maßgeblich davon ab, wie weit Trump Schockwellen erzeugen kann.«
Gleichwohl oder gerade deshalb: Trumps Beliebtheit ist bei US-Wähler*innen seit Bekanntwerden seiner Tarif-und Zollpolitik und den damit zusammenhängenden Turbulenzen an den Aktienmärkten dramatisch gesunken. Eine jüngste Umfrage von »Washington Post« und ABC News ergab eine Zustimmungsrate von 39 Prozent, die niedrigste für einen Präsidenten nach 100 Tagen seit Franklin D. Roosevelt vor 85 Jahren. Eine weitere Umfrage von CNN ergab 41 Prozent, der niedrigste Wert seit der Amtszeit von Dwight Eisenhower in den 1950er Jahren. Unzufrieden sind die Wähler*innen in erster Linie wegen der Wirtschaft und einer befürchteten Rezession.
Wohin die Rechte die USA führen will, war 2023 im »Project 2025« der konservativen Denkfabrik Heritage Foundation veröffentlicht worden. Deren Präsident Kevin Roberts hatte befunden, man befinde sich »im Prozess der zweiten amerikanischen Revolution, die unblutig bleiben wird, wenn die Linke es zulässt«. Nun versuchte Trump im Wahlkampf, sich davon zu distanzieren. Er habe das Werk nicht gelesen und beabsichtige es auch nicht.
Doch seine Politik und die Vorschläge des Project 2025 sind fast deckungsgleich: drastische Kürzungen beim Personal und im Haushalt der Bundesbehörden sowie die Flut von Dekreten. Allein am ersten Amtstag hatte Trump 26 davon unterzeichnet. Dazu gehörte nicht nur der Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen, sondern auch die Begnadigung von mehr als 1500 Rechtsextremen, die am 6. Januar 2021 das Kapitol gestürmt hatten, dabei verhaftet und anschließend verurteilt worden waren.
Trump erklärte sie zu »Helden«, während er für die Entlassung der Staatsanwälte sorgte, die für die Verurteilungen Beweise beigebracht hatten. Parallel dazu wurde, ebenfalls per Dekret, der Generalinspekteur des US-Verteidigungsministeriums angewiesen, Rechtsextremismus in den eigenen Reihen nicht mehr nachzugehen.
Das ist nur ein Beispiel unter vielen, wie die radikale Rechte an der Macht[3] sich um die Ihren an der Basis kümmert. Gleichzeitig nimmt das Trump-Regime seit dem 20. Januar vermeintliche Gegner ins Visier: den »tiefen Staat«, Anwaltskanzleien, Universitäten und Medien.
Mit Unterstützung der Republikaner im Kongress machte er die Loyalistin Pam Bondi zur Justizministerin und den rechtsextremen Schwurbler Kash Petal zum FBI-Chef. Sie dienen Trump als Lautsprecher, wenn es darum geht, potenzielle Gegner einzuschüchtern. Wiederholt beleidigte der US-Präsident nicht nur Kongressabgeordnete und Journalistinnen, sondern auch Richter*innen, die nicht in seinem Sinne entschieden hatten, mit übelsten Worten auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social. Auch in der Justiz, selbst bei hochrangigen Bundesrichter*innen, geht inzwischen die Angst um, von Trumps angestachelten Anhängern angegriffen zu werden. Befürchtet wird darüber hinaus, dass ihnen die Washingtoner Regierung den Schutz mit Bodyguards entzieht.
Zu Massenabschiebungen von Millionen von Immigranten ohne Dokumente, wie Trump sie versprochen hatte, kam es hingegen nicht. Großangelegte Razzien in Einwanderervierteln von Großstädten wie New York, Chicago, Los Angeles oder San Francisco blieben aus. Stattdessen erfolgten spektakuläre Verhaftungen Einzelner oder von Gruppen vermeintlicher Gangmitglieder beziehungsweise die Festnahmen mehrerer Studierender vor laufenden Kameras durch die Einwanderungs- und Zollbehörde ICE wegen vermeintlichem Antisemitismus. Dem Präsidenten schwebt sogar noch mehr Rechtsbruch vor. Auch US-Bürger*innen, die straffällig geworden sind, sollen in das berüchtigte Foltergefängnis in El Salvador abgeschoben werden, kündigte Trump an.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190867.usa-donald-trump-das-system-mit-scheisse-ueberfluten.html