nd-aktuell.de / 28.04.2025 / Berlin / Seite 1

Potsdam: Mit dem Hexenbesen voran

Autonomes Frauenzentrum Potsdam ehrt Jacqueline Maffo mit dem Hexenbesenpreis

Leonie Hertig
Jacqueline Maffo mit ihrem frisch verliehenen Hexenbesen
Jacqueline Maffo mit ihrem frisch verliehenen Hexenbesen

Die Hexenbesen-Verleihung des Autonomen Frauenzentrums Potsdam ehrt seit 24 Jahren Frauen, die gesellschaftliche Missstände beseitigen wollen und Staub aufwirbeln. Die diesjährige Preisverleihung fand am Montag beim zum Frauenzentrum gehörenden Mädchentreff »Zimtzicken« in Potsdam statt. Die Räumlichkeiten erinnern an die Buchreihe »Die Wilden Hühner«, das Fenster wird von einer beeindruckenden Schlange geziert, die das vietnamesische Tier des Jahres ehrt, und in der Ecke des zugewucherten Gartens steht eine bunte Hütte.

Die Verleihung des Hexenbesens findet jedes Jahr kurz vor der Walpurgisnacht am 30. April statt. Der Preis sei jenen Frauen gewidmet, die in anderen Zeiten aufgrund ihres Andersseins, ihrer Klugheit und ihres Aktivismus als Hexe gesehen und verfolgt worden wären, sagt Katrin Aechtner, Geschäftsführerin des Frauenzentrums. Die diesjährige Preisträgerin ist Jacqueline Maffo, Gründerin des Vereins Women in Exile[1]. In ihrer Rede erinnert Aechtner daran, wie Maffo 1995 aus Kamerun nach Deutschland gekommen ist: »Der Weg war nicht leicht. Aber du hast ihn mutig beschritten und bist nicht stehen geblieben.« Maffo nickt bei diesen Worten gerührt.

»Den eigenen Weg mutig zu gehen, sich davon nicht abbringen zu lassen, und dabei andere an die Hand zu nehmen – das zeichnet dich aus«, sagt Aechtner. Denn Maffo gründete nicht nur Women in Exile, als sie selbst noch in einer Flüchtlingsunterkunft wohnte, sondern startete später auch eine interkulturelle Gruppe für Frauen aus afrikanischen Communitys. Ihre Vorbildfunktion sei so groß, dass ihr weitere Frauen folgten, als sie vor zwei Jahren schwimmen lernte. »Du bist ein Vorbild, eine Verbündete. Eine Hexe mit Besen. Eine, die fliegt – nicht davon, aber voran«, schließt Aechtner die Rede ab.

Es wird gratuliert und sich umarmt. Blumen, ein Zertifikat und natürlich der liebevoll dekorierte Hexenbesen wechseln die Hände. Währenddessen fällt die eine oder andere Träne, während Seifenblasen in die Luft gepustet werden. Etwas später sitzt Maffo mit den Mitarbeiterinnen der »Zimtzicken« und des Frauenzentrums zusammen und erzählt von ihren Erfahrungen.

So lernte Maffo vor 27 Jahren Huyen kennen, als Huyen einen Deutschkurs leitete, den Maffo besuchte. Huyen ist eine Mitarbeiterin bei den »Zimtzicken«, ihren Nachnamen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. »Jetzt kannst du mir dafür das Schwimmen beibringen«, sagt sie zu Maffo. In der Zeit des Deutschunterrichts gründete Maffo Women in Exile. Anfangs waren sie nur drei bis vier Personen, sagt sie. Inzwischen arbeitet Maffo zwar weniger beim Verein, aber Mitarbeitende von Women in Exile erzählen »nd«, dass zu dem Vereinsnetzwerk inzwischen 300 Frauen gehören.

Maffo erzählt von den Verhältnissen in der Flüchtlingsunterkunft, in der sie damals untergebracht war. Die Unterkunft Wiesendorf, damals die größte in Brandenburg, lag isoliert in einem Wald und es herrschten beengte Lebensverhältnisse. Die Atmosphäre war durch die Unmöglichkeit, zur Arbeit oder zur Schule zu gehen, aufgeladen. Während Männer die Heime leiteten und die männlichen Bewohner Sachen organisierten, konnten die Frauen nur auf die Kinder aufpassen. »Die Frauen mit Kindern hatten keine Möglichkeit herauszukommen«, sagt Maffo. Das Ziel von Women in Exile war es, sich gegenseitig zu stärken und auszutauschen und gegen Rassismus und Sexismus zu kämpfen. »Es war nicht einfach. Es ist nicht einfach«, so Maffo.

Maffo erhielt zunächst nur eine Duldung in Deutschland. Kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie konnte sie schließlich ihre Einbürgerung feiern. »Das war ein starker Kampf, damals ein Bleiberecht zu bekommen.«

»Du bist ein Vorbild, eine Verbündete. Eine Hexe mit Besen. Eine, die fliegt – nicht davon, aber voran.«

Katrin Aechtner Autonomes Frauenzentrum Potsdam

Bei vielen Frauen sei die deutsche Sprache das erste Problem, sagt Maffo. Daher unterstützt sie andere Frauen bei Amtsgängen oder Arztbesuchen. Viele Frauen trauten sich nicht, zu Ärzt*innen zu gehen. »Nicht alle sind schlecht. Aber die Guten muss man finden«, sagt Maffo. Dabei gehe es nicht nur um Sprachkenntnisse, sondern auch um das Wissen, in welcher Praxis man willkommen und sicher ist und keinen Rassismus erfährt. »Du bist eine Vermittlerin zwischen den Kulturen«, sagt Aechtner zu Maffo. Diese entgegnet: »Meine Stärke kommt auch von euch. Es hilft, bei Problemen Leute wie euch hinter uns zu haben.«

Die interkulturelle Gruppe, die dank Maffo seit 2011 existiert, trifft sich einmal im Monat beim Autonomen Frauenzentrum Potsdam. »Momentan sind wir mehr Mütter als Kinder«, sagt Maffo. Denn die Kinder werden erwachsen und fangen an zu studieren. »Es gibt immer Probleme mit den Kindern und der Schule.« Deshalb organisiert die interkulturelle Gruppe Vorträge zu Computerkompetenzen oder einen Workshop zum Fahrradfahrenlernen. Öffentliche Fördermittel erhalte die Gruppe zum Frust der Frauen jedoch keine. Nicht nur Alltagssorgen sind Gesprächsthema bei der interkulturellen Gruppe. Viele Teilnehmer*innen kommen mit belastenden Erfahrungen.

Die Geschichte ihres Weggangs aus Kamerun sei allerdings zu groß, um sie am Montag erzählen, sagt Maffo. Es sei zu traurig und manche Sachen müsse man einfach hinter sich lassen, sagt Maffo.

Maffo ist selten zu Hause, sagt sie. »Ich bin überall.« Denn von überall wird sie gerufen, um zu helfen. Und das tut sie. »Ich bin die Sekretärin ohne Büro«, sagt Maffo. Oder ab jetzt die gute Hexe von Potsdam, die auf ihrem neuen Besen durch die Gegend fliegt, um anderen zu helfen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189585.frauenkampftag-von-berlin-nach-eisenhuettenstadt.html?sstr=women|exile