nd-aktuell.de / 29.04.2025 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 1

Memorandum 2025: Für die Demokratisierung der Wirtschaft

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik feiert ihr 50-jähriges Bestehen

Hermannus Pfeiffer
Von den Gründern der Arbeitsgruppe lebt nur noch Rudolf Hickel.
Von den Gründern der Arbeitsgruppe lebt nur noch Rudolf Hickel.

Wie seit mittlerweile 50 Jahren legt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik wieder zum 1. Mai ihr »Memorandum« vor. [1]Die diesjährige Studie über die Lage der Wirtschafts(-politik) in Deutschland und der Welt steht unter dem programmatischen Titel »Mehr Demokratie – weniger Kapitalmacht!« Das neue Memorandum falle in eine Zeit der Mehrfachkrisen, der ökonomischen, ökologischen und politischen Umbrüche sowie einer weit verbreiteten Verunsicherung, heißt es in der über 360 Seiten starken Analyse, die dem »nd« vorab vorliegt. Anstatt die regelbasierte Weltwirtschaft fair auszubauen und die Klimakrise global zu bekämpfen, dominiere international »der nationalistisch-autoritäre Trump-Imperialismus«, schreiben die Autoren in ungewohnter Schärfe.

Die deutsche Volkswirtschaft befinde sich »in einer anhaltenden gesamtwirtschaftlichen Stagnationskrise«, stellen die linken Wissenschaftler fest. Seit 2019, vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, habe das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur noch um 0,3 Prozent zugelegt. Da das BIP als noch immer wichtigste ökonomische Kennzahl Auskunft über die Produktion von Waren und Dienstleistungen in einer Periode gibt, dient es als Indikator für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft.

Die wirtschaftspolitische Botschaft des diesjährigen »Memos« lautet: Neben öffentlichen Investitionen vor allem in die Infrastruktur – eine Voraussetzung für Investitionen von Unternehmen – müssen die sozialen Sicherungssysteme stabilisiert werden. Ohne eine grundlegende, sozial gerechte Reform des Rentensystems werde einerseits die Altersarmut zunehmen, andererseits wachsende Kosten entstehen. Auch der Pflegeversicherung drohe der »Kollaps«. Das Bürgergeld dürfe nicht seine Funktion »als letzte existentielle Grundsicherung« verlieren und zum »Steinbruch für die Finanzierung von Steuergeschenken« werden.

»Die Konstante in 50 Jahren war immer die Kritik am profitwirtschaftlichen Marktsystem, das soziale, ökologische Probleme nicht löst, sondern Krisen erzeugt.«

Rudolf Hickel Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik hat in den Jahrzehnten ihres Bestehens nicht allein Forderungen für öffentliche Ausgaben gestellt, sondern sie hat auch Vorschläge für eine realistische Finanzierung dieser Maßnahmen entwickelt. Kritisiert wird daher der Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung von Friedrich Merz (CDU). Maßnahmen für ein aufkommensstarkes Steuersystem, mit dem etwa die dringend benötigten Investitionen in Bildung bezahlt werden könnten, fehlten völlig. Dazu gehöre »unbedingt« eine Steuer auf leistungsloses Vermögen. Ökonomisch brauche es zudem eine grundlegende Demokratisierung der Wirtschaft. Diese Themen werden auch die Jubiläumskonferenz im Juni in Berlin bestimmen, auf der die Memo-Gruppe ihren runden Geburtstag feiern will.

Neben Rudolf Hickel[2] waren es die jungen Wirtschaftsprofessoren Jörg Huffschmid und Herbert Schui, die Mitte der 1970er Jahre die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik gründeten. Zuvor hatte ein kriegsbedingter Ölpreisschock eine schon lange schwelende Strukturkrise in der Bundesrepublik ausgelöst, die in die erste Rezession der Nachkriegsgeschichte mündete. Anstatt die tiefgreifenden Strukturveränderungen als Krise der kapitalistischen Marktwirtschaft zu erkennen, hatte der maßgebliche Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die »fünf Weisen«, stattdessen die von John Maynard Keynes angeregte intervenierende Politik der SPD-FDP-Regierungen und die Lohnpolitik der Gewerkschaften als Ursache der Krise ausgemacht. Das Memorandum war als linkes Gegengutachten zu den Empfehlungen des regierungsnahen Beratergremiums konzipiert. Dennoch nahm Anfang der 1980er Jahre die neoliberale Wende auch in der Bundesrepublik richtig Fahrt auf. Es folgten marktradikale Reformen durch Kanzler Helmut Kohl (CDU). In der Zeit der beginnenden Globalisierung wurde »weniger Staat« international zum Kampfbegriff.[3]

Hat die linke Arbeitsgruppe seither viel bewegt? Da ist sich der Bremer Professor Rudolf Hickel selbst nicht ganz sicher. Doch was man seit 1975 in den Memos geschrieben habe, werde heute sogar oftmals von früheren Gegnern gutgeheißen – siehe die Kritik an der Schuldenbremse. »Lehrmeister war hier aber nicht das Memo, sondern die Krise«, scherzt Hickel im Gespräch mit dem »nd«. Wären beispielsweise die Forderungen nach einer freizügigen Kreditfinanzierung öffentlicher Investitionen, der »Goldenen Regel«, von Anfang an befolgt worden, hätte der Zusammenbruch maroder Infrastruktur vermieden werden können. Erst der Krisendruck habe nun zu den verfassungsrechtlichen Änderungen geführt.

»Die Konstante in 50 Jahren war immer die Kritik am profitwirtschaftlichen Marktsystem, das soziale, ökologische Probleme nicht löst, sondern Krisen erzeugt«, sagt Hickel. »Anders als die Marktradikalen dies behaupten.« Gute Arbeit sowie eine Stärkung der ökologisch-sozialen Entwicklung seien nur möglich, wenn die Politik den Rahmen durch staatliche Mittel sicherstellt. Auch dies sei eine Konstante in 50 Jahren Memo.

Und was war der größte Irrtum der Arbeitsgruppe? »Wir haben die Innovationsdynamik der Wirtschaft im Sinne von Schumpeters ›schöpferischer Zerstörung‹ lange unterschätzt«, sagt Hickel. Positive Beispiele für diese Dynamik böten Großprojekte der ökologischen Transformation. So benötige der Umbau der Stahlindustrie – Hickel war ihr als von der Gewerkschaft entsandter Aufsichtsrat eng verbunden – zur Green-Steel-Produktion der fiskalischen Absicherung durch den Staat. »Damit bleibt es zukünftig bei der Memo-Konstanten: Ohne Staat gibt es durch die Wirtschaft keinen gesellschaftlich befriedigenden Fortschritt.«

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, MEMORANDUM 2025. Mehr Demokratie – Weniger Kapitalmacht! – 363 S., Papyrossa Verlag, Köln, 19,90 €.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/969469.kapitulation-der-gestaltenden-finanzpolitik.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1160492.keynesianismus-rudolf-hickel-ein-leuchtturm-im-gemeinwesen.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1163371.memorandum-sozial-oekologischer-umbau-statt-aufruestung.html