nd-aktuell.de / 29.04.2025 / Politik / Seite 1

IP-Catching: Neue Überwachungsmethode entdeckt

Ermittlungsbehörden lassen ohne klare Gesetzesgrundlage IP-Adressen »einfangen«

Matthias Monroy
Im Fall von Telefónica waren potenziell alle 44 Millionen Mobilfunkkunden von der Überwachung betroffen.
Im Fall von Telefónica waren potenziell alle 44 Millionen Mobilfunkkunden von der Überwachung betroffen.

Im September deckte der Norddeutsche Rundfunk eine bislang kaum bekannte Überwachungsmethode auf: das sogenannte IP-Catching. Am Dienstag hat netzpolitik.org interne Ermittlungsakten veröffentlicht[1], die zeigen, wie diese Technik eingesetzt wird. Internet-Zugangsanbieter werden demnach von Behörden verpflichtet, die Verbindungen ihrer Kund*innen in Echtzeit zu überwachen. Ziel ist es herauszufinden, wer einen bestimmten Server kontaktiert.

Polizeien oder Geheimdienste können so auch Personen identifizieren, die anonyme Dienste wie das über Tausende Server verteilte Tor-Netzwerk nutzen. In dem bislang einzigen dokumentierten Fall wurde ein solcher Tor-Server bei dem deutschen Internethoster Hetzner überwacht. Damit sollten Verantwortliche der kinderpornografischen Plattform »Boystown« identifiziert werden.

Verpflichtet wurde dazu der Telefonanbieter Telefónica mit seinen deutschen Tochterfirmen, die drei Monate lang alle Verbindungen zu diesem Server – die sogenannten Verkehrsdaten – erheben mussten. Die Anordnung der für Internetstraftaten zuständigen Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main wurde vom Amtsgericht der Stadt genehmigt. Betroffen waren potenziell alle 44 Millionen Mobilfunkkunden von Telefónica.

Viele von netzpolitik.org befragte Expert*innen hatten noch nie von »IP-Catching« gehört. Die Methode ist gesetzlich nicht definiert, bestätigt die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft gegenüber netzpolitik.org. Dem Portal zufolge berufen sich Ermittler*innen für den Einsatz auf einen Beck’schen Gesetzes-Kommentar von 2016, verfasst von einem Jura-Professor und ehemaligen Referatsleiter im Bayerischen Justizministerium.

Andere erfahrene und prominente Jurist*innen sehen IP-Catching indes von keinen aktuellen Gesetzen gedeckt und führen dazu die große Streubreite der Maßnahme an, indem Millionen Unbeteiligte überwacht werden, um – im Fall von »Boystown« – einer einzigen Person auf die Spur zu kommen. Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte betrachtet den Paragrafen zur Erhebung von Verkehrsdaten als unzureichend.

Ein Rechtsanwalt der Organisation weist darauf hin, dass beim IP-Catching auch Inhalte erfasst werden. Tatsächlich musste Telefónica im dokumentierten Fall Inhaltsdaten der Verbindungen aufzeichnen – laut Gericht würden diese aber nur kurzzeitig gespeichert und unmittelbar wieder gelöscht. Wie dies technisch genau abläuft, bleibt aber unklar. An die Behörden übermittelt wurden angeblich nur die Verkehrsdaten.

Wie oft IP-Catching eingesetzt wird, bleibt ebenfalls offen. Die Deutsche Telekom gibt an, in den letzten fünf Jahren keine solchen Maßnahmen durchgeführt zu haben. Vodafone verweigert jeden Kommentar, während Telefónica lediglich bestätigt, dass ein richterlicher Beschluss notwendig sei. Auch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main kann nicht sagen, wie oft sie solche Maßnahmen beantragt hat – mit der Begründung, dass es keine Vorschrift gibt, die verlangt, den Einsatz zu protokollieren.

Auf eine parlamentarische Anfrage antwortete das Bundesinnenministerium, dass die Bundespolizei in den letzten fünf Jahren keine IP-Catching-Maßnahme durchgeführt habe. Zum BKA, das im »Boystown«-Fall IP-Catching einsetzte, wurde jede Antwort verweigert. Alle Angaben zu den Geheimdiensten stuft die Bundesregierung als »geheim« ein.

Die Fragestellerin Clara Bünger kritisiert dieses Antwortverhalten, zumal es sich um einen nicht abschätzbaren Eingriff in Grundrechte handele. Die Linke-Abgeordnete fordert »eine grundlegende, grundrechtsfreundliche Neuordnung der digitalen Eingriffsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden«.

Im Fall von »Boystown« hat das IP-Catching übrigens zum Erfolg geführt: Der Administrator der Plattform wurde identifiziert und zu zehneinhalb Jahren Haft verurteilt. Ob die Ermittlungen auch ohne diese Maßnahme erfolgreich gewesen wären, bleibt offen.

Links:

  1. https://netzpolitik.org/2025/ip-catching-die-ueberwachungs-massnahme-die-geheim-bleiben-soll/