Acht Jahre nach seiner Ankündigung wurde der erst diesen März erstmals erschienene Rechtsextremismus-Bericht für Neukölln[1] gleich wieder einkassiert. Das Bezirksamt hat ihn nur wenige Tage nach der Veröffentlichung offline gestellt und die Verbreitung gestoppt. Das berichtete am Dienstag erstmals die »Taz«[2] und schreibt vom »klammheimlichen« Verschwinden des Berichts. Die Frage ist: Warum? Was sich bisher schwer beantworten lässt, wird jedenfalls von Streit zwischen den Fraktionen im dortigen Bezirksamt begleitet.
Vorgestellt hatte den Bericht die Jugendbezirksstadträtin und Beauftragte für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Sarah Nagel (Die Linke), zusammen mit dem Kriminologen Max Laube und Vertretern von Beratungs- und Recherchestellen gegen Rechtsextremismus[3], Rassismus und Antisemitismus. Darin wurde ein »stetiger, quantitativer Zuwachs der Fallzahlen rechtsextremer Straftaten[4]« festgestellt, unter anderem mit Zahlen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen politisch motivierter Kriminalität und der unabhängigen Registerstelle Neukölln. So wurden mit 400 Delikten im Jahr 2023 etwa doppelt so viele wie im Jahr zuvor verzeichnet, darunter vor allem Propagandadelikte, aber auch Beleidigungen und meist queerfeindlich motivierte Angriffe. 208 Straftaten wurden festgestellt.
Zusammenfassend dokumentierte der für das Jahr 2023 erstellte Bericht aber auch die sich seit Jahren verschlimmernde Situation im Bezirk, die durch Brandanschläge, zerstochene Reifen, Bedrohungen gekennzeichnet ist. Dabei lässt der Bericht die Lage in Neukölln auch von Beratungs- und Opferinitiativen beurteilen. Eigentlich sollte der Bericht nach dem Willen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) bereits seit 2017 erscheinen – und zwar jährlich. Anlass war der sogenannte Neukölln-Komplex, eine rechtsextreme Anschlagsserie im Bezirk. Acht Jahre danach wird der endlich erschienene, druckfrische Bericht dann quasi sofort wieder zurückgenommen.
Es heißt, es gebe rechtliche Bedenken. Denn: Im Bericht wird auch die AfD genannt – als eine »in Teilen rechtsextreme Partei«, was nach Einschätzung mehrerer Verfassungsschutzbehörden und nach Gerichtsentscheidungen für drei Landesverbände eine Tatsache ist. Doch im Bezirksamt gehen laut »Taz«-Informationen einige davon aus, dass die Nennung im Bericht nicht mit dem staatlichen Neutralitätsgebot vereinbar sein könnte. Mit anderen Worten: Man befürchtet wohl eine Klage.
So sehen das zumindest einige Vertreter*innen der Linksfraktion, die in einer Pressemitteilung schrieben, das Bezirksamt solle sich nicht aus Angst vor einer Klage wegducken. Eine entsprechende Nachfrage von »nd« nach den Gründen ließ das Bezirksamt bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Laut der Einschätzung der Organisation Reachout, die ebenfalls am Bericht mitgewirkt hatte, sollte die Neutralitätsbegründung jedenfalls nicht gelten dürfen: »Die Behörden sind als staatliche Organe gesetzlich verpflichtet, im öffentlichen Interesse zu handeln. Dazu gehört, die kontinuierlichen Gefahren des Rechtsextremismus und des systematischen Rassismus zu erkennen, insbesondere auch wenn er aus den eigenen Reihen der Institutionen kommt.«
Ein weiterer Grund könnte auch sein, dass politischen Vertretern einige Aussagen der zitierten zivilgesellschaftlichen Recherchestellen in dem Bericht nicht genehm sind. So lesen sich jedenfalls die Kritikpunkte der CDU, die sich beschwerte, dass in dem Bericht »linksextreme Forderungen« genannt und »konservative Akteure« als Problem benannt würden. Zitiert wird zum Beispiel ein Vertreter des Bündnisses Neukölln, der von einer Vernetzung von Neonazis bis ins bürgerliche Milieu ausgeht, die er so beschreibt: »Nazis, Fußball-Hooligans, AfDler bis hin zu konservativen Akteuren«. Die Neuköllner CDU-Fraktion hat daher sogar einen Missbilligungsantrag gegen Bezirksstadträtin Nagel gestellt. Am 14. Mai soll es eine Sondersitzung wegen des Berichts geben, den die CDU am liebsten nicht überarbeitet, sondern gänzlich zurückgezogen sähe. Unter anderem auch wegen »methodischer Mängel« und »unanständiger Angriffe« auf die Polizei, so der Kreisvorsitzende der Neuköllner CDU Falko Liecke. Zu der Kritik ließ Nagel ausrichten, dass die Aussagen der Organisationen klar als Zitat erkennbar seien. Dass diese selbst zu Wort kommen, sei schließlich auch der Auftrag gewesen. »Wir können diese ja schlecht im Bericht zensieren.«
Die Neuköllner Fraktionsvorsitzende der Linken Carla Aßmann sieht in dem CDU-Antrag vor allem eine Bestätigung der Einschätzung des Bündnisses Neukölln: »So war etwa der heutige Ordnungsstadtrat Gerrit Kringel Mitglied in einem vom bekannten Neonazi Thomas Schirmer gegründeten Fußballverein. Die CDU sollte sich von diesen Verbindungen distanzieren und sie transparent aufarbeiten. Ihr jetziges Handeln zeugt eher vom Gegenteil.«