Im vergangenen Jahr gab es Diskussionen, warum sich die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration von Großdemonstrationen gegen rechts abgrenzt und dass Politiker wie Friedrich Merz rechte Politik in die Mitte der Gesellschaft rücken. Nun wird Merz Kanzler und versuchte jüngst mit Stimmen der AfD, das Asylrecht auszuhebeln. Proteste dagegen blieben vergleichsweise klein. Wie stehen Sie heute zur AfD und breiten Bündnissen?
Wir denken nicht, dass die AfD das einzige Problem ist. Die alte und die neue GroKo mit Merz setzen ja extrem rechte Pläne gegen Migrant*innen schon längst um. Gegen ihre rassistische und kriegsführerische Politik werden wir weiterhin von unten kämpfen, egal wie sehr die Parteien der sogenannten Mitte versuchen, sich als Demokraten zu verkleiden. Hier unterscheiden wir aber genau: Als Linke tun wir uns keinen Gefallen, wenn wir den Lieferfahrer aus einem Randbezirk, der kaum über die Runden kommt, oder die prekarisierte Arbeiterin aus Brandenburg, deren Geldbeutel trotz immer härterer Arbeit leer bleibt, als Faschist*innen abstempeln.
Auch nicht, wenn sie AfD wählen?
Genau. Wir müssen Dialogräume schaffen, in denen wir klar machen, dass nicht wir Migrant*innen schuld an der Verschlechterung der Lebensbedingungen sind, sondern die da oben, die das kapitalistische System am Laufen halten, um immer reicher zu werden. Es ist wichtig zu verstehen, dass es eine Verknüpfung zwischen neoliberalen Kürzungen und strukturellem Rassismus gibt.
Warum?
Diese Politik zerstört gesellschaftlichen Zusammenhalt. Für uns ist es deshalb der erste Schritt, Gemeinschaft aufzubauen. Migrantische Organisationen haben historisch in linken Bewegungen eine zentrale Rolle gespielt. Wir tragen mit einer dynamischen Perspektive zum Klassenkampf bei, müssen immer kreativ sein. Die meisten von unseren Genoss*innen sprechen nicht mal Deutsch. Sprache ist also auch ein erster Schritt, um überhaupt politisch teilzuhaben. Vor diesem Hintergrund ist es keine Entweder-oder-Frage zwischen Basisarbeit und breiten Bündnissen, sondern ein Schritt-für-Schritt Prozess. Wir bauen von unten auf.
Auf der Revolutionären 1.Mai-Demonstration organisieren Sie den Migrantischen Block mit. Welche Forderungen erhebt der?
Migrant*innen als die Quelle allen Übels zu brandmarken ist eine Strategie rechter Politiker*innen, um die Arbeiterklasse zu spalten. Wenn Unternehmen deutschen Arbeiter*innen damit drohen können, billigere migrantische Arbeitskräfte zu holen, sinken die Löhne von allen! Wir erleben Zeiten, in denen in Deutschland der harte Stiefel nach außen zeigt, aber auch nach innen. Militarisierung heißt nicht nur, dass Menschen in Gaza getötet werden. Sondern heißt auch, dass Lorenz getötet wurde (Der in Oldenburg von der Polizei erschossene 21 jährige Lorenz A., Anm. d. Red.[1]).
Wer läuft denn alles in dem Migrantischen Block mit?
Zehn Organisationen: Bloque Latinoamericano Berlín, Alpas Pilipinas, Auswärts, Solidarity Group, Asamblea Migrante Berlín, Todas las Sangres Berlín, Berlino Possibile, Verband der Partisan*innen Italiens, Interbrigadas und Kali Feminists.
In der Vergangenheit waren Autonome sehr präsent auf der Demonstration. Letztes Jahr fehlte der schwarze Block. Warum hat sich die Demonstration verändert?
Unser Ziel ist es, dass linke Räume offener werden. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir nur die Überzeugten organisieren. Wenn ich mich mit Menschen austauschen will, die schon wissen, was sich verändern muss, dann kann ich mit denen ein Bier trinken gehen oder zusammen kochen. Aber für uns ist es wichtig, gesamtgesellschaftliche Prozesse der Veränderung in die Wege zu leiten. Demonstrationen sind ein Werkzeug dafür.
Warum nehmen auch mehr Migrant*innen an der Demonstration teil?
Für uns war es in der Vergangenheit schwierig teilzunehmen, weil die Demonstration bis 2021 nicht angemeldet war. Unser Leben in Deutschland hängt an unserem Visum. Unsere Arbeit hängt davon ab.
Apropos Arbeit: Wie wichtig sind Arbeitskämpfe für Sie?
Wir setzen uns zum Beispiel für bessere Arbeitsbedingungen von Migrant*innen ein, die in Lieferdiensten[2] tätig sind oder in der Pflege. Wir setzen da an, wo es ganz konkrete Veränderungen zu erkämpfen gibt. Damit Menschen lernen: Es lohnt sich, zu kämpfen. Es lohnt sich, sich zu treffen, Protokolle zu schreiben und sich etwas Zeit für kollektive Selbstorganisierung freizuschaufeln.
Sie sprechen von Selbstorganisierung und revolutionären Kämpfen von unten. Wie sieht das denn konkret im Alltag einer Berlinerin aus?
Eine Strategie der Macht ist, uns Kommunist*innen und Sozialist*innen als Gewalttätige darzustellen. Aber wir sind ganz normale Menschen. Ich bin von der Arbeit hier zum Interview gerannt, danach muss ich weiterarbeiten und in der Mittagspause werde ich koordinieren, wer das Megafon für Donnerstag besorgt und schauen, dass die Genossin, die heute auf ihr krankes Kind aufpasst und es nicht mehr schafft, ihre Rede zu Ende zu schreiben, dass auch diese Aufgabe kollektiv gelöst wird. Wir studieren, arbeiten, suchen Arbeit oder sind besorgt, weil wir kaum über die Runden kommen.
Wenn die Arbeitsalltage so verschieden sind, wo findet sich dann das Gemeinsame? Ein Arbeitsloser hat ja nicht dasselbe Interesse wie eine Angestellte.
Aufgrund von Privatisierung und Spekulation findet niemand in Berlin eine bezahlbare oder günstige Wohnung. Darunter leiden wir alle. Gleichzeitig werden viele von uns rassistisch angegriffen.
Auch die Repression gegen Linke nimmt zu. Denken wir an die Polizeigewalt auf pro-palästinensischen Demonstrationen; die vielen Studierenden vor Gericht, die sich an Besetzungen gegen den Gaza-Krieg[3] beteiligten oder die drohende Abschiebung der »Berlin4«[4]. Was macht das mit Migrant*innen?
Seit letztem Jahr haben Migrant*innen mehr Angst, auf die Straße zu gehen. Es soll bei der 1. Mai-Demonstration deswegen nicht darum gehen, einen Kampf zwischen Polizei und Aktivist*innen zu haben, sondern einen Raum zu schaffen, in dem sich die Arbeiter*innenklasse so zeigt, wie sie aussieht: auch sehr migrantisch. Wir wissen, dass die Provokation von der Polizei ausgeht. Unsere Strategie ist aber zu zeigen: Wir kämpfen für eine friedliche Welt. Medien müssen aufhören, über uns zu sprechen, als seien wir Terrorist*innen oder Kanaken, Migrant*innen, die nur Chaos auf den Straßen von Neukölln schaffen wollen.