Am 27. Juni 2001 ermordet der »Nationalsozialistische Untergrund« den Gemüsehändler Süleyman Taşköprü in seinem Laden in Hamburg. Jahrelang ermittelt die Polizei in die falsche Richtung, geht davon aus, Taşköprü sei in Drogengeschäfte verwickelt gewesen, vermutet einen Racheakt und verdächtigt die Familie des Mordopfers. Erst mit der Selbstenttarnung des NSU[1], ein Jahrzehnt später, herrscht für die Ermittler Gewissheit, dass die Tat Teil einer neonazistischen Terrorserie[2] war.
Wie konnten Polizei und Verfassungsschutz so versagen? In Hamburg soll diese Frage ein interdisziplinäres Forschungsteam klären. Anders als in den anderen Bundesländern, in denen der NSU mordete, wo parlamentarische Untersuchungsausschüsse[3] eingesetzt wurden. Mitte Februar, kurz vor Beginn des Forschungsprojekts, zeigten sich die Beteiligten optimistisch: »Das wird keine Aufarbeitung light«, so der Sprecher der Forschungsgruppe, Constantin Goschler, von der Universität Bochum. Carola Veit, Präsidentin der Hamburger Bürgerschaft – also des Landesparlaments –, betonte: »Die Forschenden erhalten vollumfängliche Akteneinsicht, ganz wie ein Untersuchungsausschuss.« Abgesehen vom Quellenschutz sollte es laut Veit keine Einschränkungen beim Einblick in die Akten der Landesbehörden geben.
Nun äußert die Hamburger Linke Zweifel an dieser Darstellung. Aus einer kleinen Anfrage der Fraktion im Hamburger Parlament soll hervorgehen, dass die Forschenden nur eingeschränkten Zugang zu Akten des NSU-Mordes in Hamburg erhalten werden. Dabei soll es sich lediglich um Akten handeln, die bereits an die Untersuchungsausschüsse anderer Länder und des Bundes geliefert worden waren; vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) würden die Forschenden ausschließlich Zugang zu einer selbst getroffenen Vorauswahl erhalten.
»Für eine wissenschaftliche Aufarbeitung[4] ist vollständige Transparenz zwingend notwendig«, kritisiert Deniz Celik, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion. »Solange zentrale Akten unter Verschluss gehalten werden und die Rolle von V-Leuten systematisch im Dunkeln bleibt, kann von echter Aufklärung keine Rede sein.« Nur eine vollständige Freigabe aller relevanten Dokumente und einer lückenlosen Untersuchung staatlicher Verstrickungen könne das Vertrauen der von rassistischer Gewalt Betroffenen und der Öffentlichkeit in die demokratischen Institutionen wiederherstellen.
Die Hamburger Bürgerschaftskanzlei sieht indes keinen Widerspruch zu bisherigen Absprachen: Den Forschenden »sollen alle Akten vorgelegt werden, die auch ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss einsehen dürfte«, bestätigt eine Pressesprecherin gegenüber »nd«. Eine abschließende Rückmeldung des Senats, welche Akten, Dokumente und Datenbestände im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex in Hamburg vorhanden sind, stehe noch aus. »Dass der Senat den Vereinbarungen, die mit der Bürgerschaft getroffen wurden, nicht gerecht wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht festgestellt werden«, heißt es weiter. Auch aus der Antwort des Senats auf die kleine Anfrage der Linken würden sich aktuell keine Zweifel daran ergeben. Die Forschungsgruppe selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.