nd-aktuell.de / 12.01.2008 / Sport / Seite 12

So wie Billard, aber ohne Queue

In Indien ist Carrom Volksport und das Nationalteam nahezu unschlagbar

Geschickte Fingerspiele beim freundlichen Inder um die Ecke: Auf dem Subkontinent ist Carrom, eine Art Billard ohne Queue, ein Volkssport. Inzwischen hat sich auch hier eine Carrom-Szene etabliert: Mit dem deutschen Rekordmeister PETER BÖCKER (43), im Hauptberuf Bäcker, spricht ND-Autor RENÉ GRALLA.

ND: In Indien ist Carrom entstanden, als erschwingliche Variante des Billardspiels, das von den britischen Kolonialherren eingeführt worden war.
BÖCKER: Das ist die eine Theorie. Die andere nimmt an, dass Carrom viel älter ist und bereits vor der Ankuft der Europäer in den Palästen der Maharadschas gespielt wurde. Unbestritten ist Indien die Hochburg des Carrom; viele Fans leben in Sri Lanka, Bangladesh, Pakistan und auf den Malediven.

Haben Sie schon mal das Mutterland des Carrom besucht?
Nach Indien bin ich dreimal geflogen, jeweils für ein halbes Jahr. Ich war am Oberlauf des Ganges, in Haridwar und Rishikesh, in Jaipur und Goa. Während der dritten Reise habe ich auch Carrom gespielt, in Clubs, die sich meist in Hinterhöfen verstecken. Dort wird dann oft auch um Geld gezockt.

Inzwischen hat sich der »Deutsche Carrom Verband e.V.« (DCV) konstituiert.
Im DCV sind einige hundert Aktive organisiert. Um ein Vielfaches höher dürfte die Zahl der Spieler innerhalb der indischen Community ein. Es werden auch Weltmeisterschaften veranstaltet, die 2008 startet in fünf Wochen in Cannes.

Beim Carrom versuchen die zwei Gegner, weiße und schwarze Steine sowie einen roten Puck, die »Queen«, in vier Löchern an den vier Ecken des 74 mal 74 Zentimeter großen Brettes zu versenken.
Geschossen wird mit dem »Striker« – einer großen Plastikscheibe. Was am Billardtisch der Queue ist, ist auf dem Carrom-Brett einer Ihrer Finger. Denken Sie an Murmeln: Ähnlich bauen Sie im Carrom eine Spannung auf zwischen Daumen und Zeigefinger – Sie dürfen auch den Mittelfinger einsetzen –, dann lassen Sie den Finger vorschnellen. Der setzt den Striker in Bewegung; die Scheibe trifft auf die anderen Steine und verändert deren Lage. Wenn Sie die Stichwörter »Carrom«, »Video« und »Peter Böcker« bei Google eingeben, sehen Sie in einem Video, wie Carrom funktioniert.

Sie sind Deutscher Meister.
Den Titel trage ich seit 2000 in Folge. Mein größter Erfolg war die Europameisterschaft 2002 in Düsseldorf.

Und wie schneiden Sie gegen die indische Konkurrenz ab?
Vor zwei Jahren kam Indiens Nationalmannschaft nach Deutschland. Wir haben jedes Spiel verloren: Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.

In Indien können Spitzenleute vom Carrom leben?
Wenn einer richtig gut ist, kriegt er eine vom Staat geförderte Stelle, z. B. bei Indian Airlines. So ernähren die Spieler ihre Familie, haben Zeit zu trainieren. Schließlich ist das ein Sport, bei dem die Inder führend in der Welt sind.

Durch Carrom können Talente aus der Armut entfliehen. Damit ist es ein echtes Spiel des Volkes.
Das kann man so sagen.

Wie lange spielen Sie Carrom?
Seit 1990.

Was ist der spezielle Reiz?
Es geht nicht nur darum, Steine einzulochen; wichtig sind Taktik und Strategie. Anders als beim Poolbillard, dessen Regeln verbieten, zuerst die gegnerischen Kugeln anzuspielen, darf ich mit dem »Striker« direkt auf die Steine des Anderen zielen. Oder ich bringe meine Steine vor einem der Löcher in Stellung, um zu verhindern, dass mein Kontrahent punktet.

Wie trainieren Sie?
Dreimal die Woche, je drei Stunden. Manchmal setze ich mich auch allein ans Brett, um bestimmte Schüsse auszuprobieren. Im Übungsraum unseres Vereins RCS, den »Remote Controlled Strikers« Dortmund, haben wir über einem Brett eine Kamera installiert. Wir nehmen Spielzüge auf, digitalisieren sie und werten sie aus.

Wie im EM-Lager von Fußballbundestrainer Jogi Löw!
So kann man sich das vorstellen.

Infos: per E-Mail an Peter Böcker carrominfo@cityweb.de[1]

Links:

  1. carrominfo@cityweb.de