nd-aktuell.de / 22.05.2008 / Politik / Seite 4

Fesseln für Kinder »gerechtfertigt«

Minderjährige aus Nigeria wurden im Krankenhaus versorgt / Jugendamt verteidigt Einsatz

Birgit von Criegern
Nach einem gewaltsamen Polizeieinsatz gegen drei nigerianische Flüchtlingskinder im sächsischen Treuen werden nun Einzelheiten bekannt. Und Vorwürfe laut.

Elke Herrmann, migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im sächsischen Landtag, verlangt von der Staatsregierung unverzügliche Aufklärung. Am vergangenen Freitag war eine Einsatztruppe der Polizei in Sachsen in ein Kinderheim der AWO in dem Ort Treuen (Vogtland) gerufen worden, um drei Mädchen im Alter von acht, 13 und 14 Jahren in das Flüchtlingswohnheim Posseck zurückbringen. Bei dem Einsatz wendeten die Beamten Gewalt an, sie ketteten die Kinder mit Handschellen aneinander und zerrten die sich Sträubenden aus dem Haus.

Die Geschwister hatten drei Tage vorher in dem Kinderheim Zuflucht gesucht. Laut eigenen Äußerungen hielten sie es in ihrem Flüchtlingsheim in Posseck nicht mehr aus. Eine Jugendamtsmitarbeiterin rief am Freitag die Polizei, um die Mädchen wieder in das Heim zurückzubringen. Herrmann in der jüngsten Presseerklärung: »Es ist völlig inakzeptabel, wenn das Jugendamt die drei Geschwister gegen ihren Willen und unter Einsatz von massiver Polizeigewalt aus dem Jugendwohnheim verwiesen hat.« Die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung des Aufenthalts im Asylbewerberheim Posseck müsse überprüft werden. Weiter heißt es, das Jugendamt habe in erster Linie Kinder zu schützen. Diese wären im Kinderheim Treuen offensichtlich sicher, willkommen und für die Behörden erreichbar gewesen.

Laut Bericht der Kinder wurden sie von den Einsatzkräften mit Gewalt gefesselt, aus dem Haus gezerrt und teilweise zu Boden gestoßen. Ihre Tante Claudia Omoghoromwan erzählt, dass die Kinder sichtbare Spuren von Misshandlungen an Kopf und Gliedmaßen aufwiesen und im Krankenhaus ärztlich versorgt werden mussten.

Flüchtlingsorganisationen wundern sich nicht über die Abneigung der Kinder, in dem Flüchtlingsheim leben zu müssen. Es ist eines der typischen Verwahranstalten für Asylbewerber, das isoliert von der Gesellschaft im Wald liegt. Omoghoromwan: »Ich lebe seit zwei Jahren mit den Mädchen in Posseck. Ich hatte Behörde und Jugendamt gebeten, uns eine andere Unterkunft zur Verfügung zu stellen.«

Seit Freitag hat sie bei Bekannten in Halle vorübergehende Unterkunft gefunden. Der Sprecher des zuständigen Jugendamtes in Adorf, Herr Geier, sieht die Fesselung der Kinder bei dem Einsatz als gerechtfertigt an: »Man musste sie in diesem Moment vor sich selbst schützen.« Geier verneint, dass die Unterbringung der Mädchen in dem Kinderheim notwendig gewesen wäre. »Sie wollten selbst nach Posseck zurück«, so sein Eindruck.

Keine näheren Angaben zu dem Vorfall gab es bislang von der sächsischen Landespolizei. »Der Einsatz ist derzeit in Prüfung«, so der zuständige Pressesprecher gegenüber ND.

Das Flüchtlingsheim in Posseck geriet seitens des sächsischen Flüchtlingsrates wiederholt in die Kritik. »Es handelt sich um eine ehemalige Kaserne, die im Wald liegt. Kontaktaufnahme zum nächsten Ort und Arztbesuche bedeuten für die Bewohner ein Problem«, lautet die nüchterne Auskunft von Ali Muradi vom Flüchtlingsrat.