Dieses Buch will eigentlich gar nicht beredet sein. Es will, dass man es wieder und wieder durchblättert, allein. Dass man darin liest, wieder und wieder, am besten im Freien, und dabei vielleicht mal aufschaut, bemerkt, wie hoch oben Wolken ziehen und man selbst nur ein Pünktchen ist in der Landschaft. Erstaunlich eigentlich: So ein Pünktchen sagt »Ich« und ist sich doch selbst ein Rätsel von Anbeginn bis Ende.
Anbeginn? Ende? Damit fangen schon viele Fragen an. Eva und Erwin Strittmatter würden wahrscheinlich in manchem verschiedene Antworten haben, wie es sich ja überhaupt bei ihnen um zwei verbundene und auch eigenständige Künstlerpersönlichkeiten handelt, zwei Liebende, die es gut und schwer hatten miteinander. Doch dazu später mehr in dem Gesprächsbuch »Eva Strittmatter. Leib und Leben«, das im November erscheinen soll.
Die Idee für den jetzt vorliegenden Band wurde geboren, als Eva Strittmatter im vorigen Jahr im Krankenhaus lag. Heinz Hellmis, einst Ausstattungsleiter im Aufbau-Verlag, dann Mitbegründer von Edition Zwiefach, wollte ihr, wie er in einer Nachbemerkung sagt, »zu schönen Erinnerungen« verhelfen. Diese Güte, dieses Mitfühlen ist dem Buch anzumerken. Eine große Leistung von Heinz Hellmis. »Buchgestaltung« ist hier als Herausgeberschaft zu verstehen. Und die Freude wird weitergegeben: Eva Strittmatter hat den Band ihren »Schulzenhof-Freunden« gewidmet. Damit sind nicht nur die Adressaten ihrer Rundbriefe gemeint.
Fotos aus Schulzenhof von Heinz Hellmis, Henry Thetmeyer und Edith Rimkus, Zeichnungen von Linde Kauert, Aquarelle von Marianne Gábor, Holzschnitte von Arno Mohr – es wäre durchaus möglich gewesen, den vielen eindrucksvollen Bildern die Texte nur beizuordnen. Das ist hier nicht geschehen. Der Leser bekommt nicht bloß passende Zitate zu den Abbildungen serviert, sondern eine – natürlich kleine – Auswahl aus den Werken von Eva und Erwin Strittmatter, für die das Urteil »wohlbedacht« eine Untertreibung wäre.
Eine exzellente Zusammenstellung : Von ihr Gedichte, die weltliterarische Gültigkeit haben, und von ihm Textauszüge, die ihn als Menschen hervortreten lassen – das Zauberhafte seiner Einfälle und Formulierungen, sein Ringen um eine poetische Existenz. Er, um den es gerade jetzt so manchen Lärm gibt, tritt uns in diesem Buch ganz ruhig entgegen, sicher. Ein nachdenklicher Mensch, der
in Aufrichtigkeit und Frieden leben wollte.
»Die Räume haben Frieden./ Die Tage gehn ein und aus./ Für eine friedliche Seele/ Wär das ein friedliches Haus«, so heißt es in Eva Strittmatters Gedicht »Haus«. Der Kraftakt des Menschlichen als poetischer Vorgang und umgekehrt. Sie hat immer wieder »ein Lied aus Stille« gemacht. Das Gedicht, das ihrem ersten Band den Namen gab, findet sich hier neben späteren Texten, zwei davon in ihrer Handschrift abgedruckt.
»Gekannt werden, wie man wirklich ist, sich selbst bekennen, wie man sich wandelt – man ist ja nicht, man wird durchschnitten von Lebenslinien«, das ist ihr ein Antrieb zum Schreiben. Und: »das Flüchtige aller Erscheinungen zu bannen, dem Vergessen zu entreißen, was als Glanz in uns aufscheint ...«
»Der einsame Hof. Die zwei Islandpferde.« – Und die »Sehnsuchtsfarbe Lerchenblau«. Vielleicht kennt sie jeder irgendwie, sollte sie kennen und nicht vergessen mit dem Älterwerden. »Seele seltsames Gewächs./ Gegenblüte zum welkenden Leib./ Die ich zerfallenden Zellen enttreib./ Duftender als die persischste Rose ...« Eine besinnliche Stimmung wird beim Betrachten dieses Buches über den Leser kommen. In den Texten und auch zwischen ihnen werden sich Wege auftun. Man wird in Bewegung gesetzt.
Eva Strittmatter: Für meine Schulzenhof-Freunde. Buchgestaltung Heinz Hellmis. Edition Zwiefach. 68 S., Englische Broschur, 20 EUR.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/132565.ein-lied-aus-stille.html