nd-aktuell.de / 02.10.2008 / Kultur / Seite 12

Herr L. Uzifer ist »Die-sei-ner«

Franziska Groszer über Antons Abenteuer

Irmtraud Gutschke

Kinder, die solche Eltern haben wie Anton und seine Schwester Bella, bekommen dieses Buch bestimmt nicht geschenkt. Wer die Geschichte liest, der weiß, dass es ihm besser geht. Mag sein, dass darin schon eine – unbeabsichtigte – Wirkung liegt.

Wie gut Franziska Groszer kleine Jungs versteht, die glauben, Arme und Beine wären zu dünn und es mangele ihnen an Muskeln. Kleine Jungs, die sich Mutproben abverlangen, aber nur ganz leise sagen, was sie sich wünschen. Anton hat Fantasie, und das ist wunderbar. Er hat den Straßen Namen gegeben: »Semmelallee», »Milchkaffeestraße«. Er selber wohnt in der »Schreckschraubengasse«. Aber am schlimmsten ist für ihn die Straße »Grüner Tee«, denn dort steht das »unheimliche Haus«. Daran muss Anton immer möglichst schnell vorbei. Was Geschicklichkeit erfordert, denn er darf nicht auf die Linien zwischen den Gehwegplatten treten. Hallo, liebe Frau Groszer, an dieses überaus ernste Spiel erinnere ich mich selber gut.

Warum das Haus so schlimm ist? Weil Ungeheuer und Hexen drin wohnen. Aber Anton, die hast du doch in Wirklichkeit zu Haus! Auf der ersten Seite glaubt man noch, Mutter und Vater seien arm, weil Anton sich so lange vergeblich eine Uhr gewünscht hat. Doch an Geld mangelt es ihnen nicht, sondern an Güte.

Es drückt einem die Kehle zu, wie Franziska Groszer die Eltern des Jungen beschreibt. Leider, solche Leute gibt es. Tessa – von der Schwiegermutter (die auch nicht viel besser ist) Tussi genannt – ist Maniküre. Sie hat blondierte Haare und Muster auf den Fingernägeln. Zu bonbonfarbenen Leggings trägt sie Miniröcke und Stöckelschuhe. Bolle arbeitet beim Fernsehen für die Sendung »Ein Unglück kommt selten allein«, über die er sich selbst wohl am meisten amüsiert. »Deine Sendung wendet sich an die niedrigsten Instinkte des Menschen«, sagt Bella. Sie ist ein kluges Kind, kann mit ihren fünf Jahren sogar schon lesen. Hat sie sich selber beigebracht mit Antons Hilfe, was die Eltern überhaupt nicht verstehen können.

Zum Glück hat Tessa eine Schwester, die Anton Schmusanne nennt. Bei der sitzen die Kinder am Ende auf dem Sofa und lesen einander Geschichten vor. Ihre Eltern vermissen sie kein bisschen. Ist die Jugendhilfe eingeschritten? Würde sie doch nicht, die Vernachlässigung war nicht zu sehen. Es lag wohl an Herrn L. Uzifer, der kurzzeitig die Wohnung im Erdgeschoss bezog und ein leuchtend rotes Sofa mitbrachte. Mit dem hat es so seine Bewandtnis, wie Anton weiß. Aber Tessa findet den Herrn toll, denn er ist »Die-sei-ner« und hat sie sogar zu sich eingeladen. Bolle geht mit, obwohl ihn der Mann nicht interessiert, es sei denn, er wäre auf einer Bananenschale ausgerutscht.

Märchen und Wirklichkeit treffen sich zum schlimm-guten Ende. Eltern sollten ihre Kinder nicht zurechtweisen, wenn sie auf der Straße vielleicht Tessa und Bolle erkennen. Denn unter anderem dafür ist das Buch ja geschrieben.

Franziska Groszer: Anton und das unheimliche Haus. Edition Quinto bei Terzio. 108 S., geb., 10,90 EUR.