nd-aktuell.de / 08.10.2008 / Brandenburg / Seite 11

Bei Vorurteilen auf keinen Fall schweigen

Antisemitismus-Seminar im Anne Frank Zentrum im zehnten Jahr seines Bestehens

Andreas Heinz
Erkenntnisse aus ernsthafter Runde.
Erkenntnisse aus ernsthafter Runde.

Engagement gegen Antisemitismus, Vorurteile und jegliche Diskriminierung von Menschen. Diese Ziele hat sich das Anne Frank Zentrum seit seiner Gründung vor zehn Jahren zur Aufgabe gemacht. Ein Schwerpunkt ist die Arbeit mit Pädagogen.

So veranstaltet das Haus am Hackeschen Markt in Mitte im Jubiläumsjahr gezielt Seminare für Lehrkräfte und Referendare. Hier sollen die Pädagogen lernen, antisemitischen Äußerungen ihrer Schüler wirksam und überzeugend zu begegnen. ND war bei solch einem Trainingstag dabei.

Der Referendar will von seinem Gegenüber genau wissen: »Wen meinst du mit Judenpräsident? Diesen Begriff kenne ich nicht.« Axel Bremermann vom Anne Frank Zentrum ist das Gegenüber und spielt einen Schüler, der seine Vorurteile über Juden ablässt: »Na ja, das ist doch dieses Land irgendwo da unten, hinter Ägypten.« Der künftige Lehrer hält entgegen: »Der Staat heißt Israel und du sprichst sicherlich vom israelischen Präsidenten.« Für Fachseminarleiter Klaus Nietzeldt, Lehrer an der Köpenicker Flatow-Oberschule, hat der Referendar bei diesem Rollenspiel während des Antisemitismus-Trainings hervorragend reagiert: »Der Kollege ist am Thema geblieben.«

Einen Tag lang trafen sich diesmal Referendarinnen und Referendare aus Treptow-Köpenick zu einem Fachseminartag. Die Weiterbildung zum Thema Antisemitismus gehört zum Pflichtprogramm der angehenden Pädagogen. Axel Bremermann und seine Kollegin Larissa Weber nahmen für ihre Arbeit die Materialien der Bundeszentrale für politische Bildung als Basis, so das Heft »Antisemitismus in Europa – Vorurteile in Geschichte und Gegenwart«.

Bremermann arbeitet als pädagogischer Mitarbeiter am Anne Frank Zentrum, Weber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam. Während des Rollenspiels ermutigte Larissa Weber eine Referendarin, weiterhin so engagiert zu argumentieren. »Zu große Sachlichkeit kann von den Schülern als Desinteresse ausgelegt werden«, erläuterte sie.

Ihr Rat: »Wer seinen Standpunkt nicht mehr klar und überzeugend vertreten kann, sollte lieber abbrechen, als vor der Klasse anfangen zu schwimmen.« Den Schülern sollte man sagen, dass sich bis zum nächsten Mal alle noch einmal Gedanken zu diesem Thema machen. Ein probates Mittel ist laut Nietzeldt auch, eine Schülerfrage an die Klasse zurückzugeben. Auf jeden Fall authentisch bleiben.

So authentisch wie eine andere Referendarin. Larissa Weber, in der Rolle einer Schülerin, stellt die Zahl der von den Faschisten im Zweiten Weltkrieg ermordeten Juden in Frage: »Sechs Millionen? So viel können das doch gar nicht gewesen sein.« Der Bagatellisierung der Opferzahlen sachlich entgegentreten, erklären Bremermann und Weber. Darauf hinweisen, dass Millionen von Akten nicht gefälscht sein können: »Kaum etwas anderes wurde so akribisch dokumentiert.«

Neben den direkten Konfrontationen bei den Rollenspielen gibt es auf Arbeitsblättern Anregungen zum Umgang mit antisemitischen Äußerungen und Haltungen. Auf keinen Fall ignorieren und tabuisieren, heißt es da. Klar und unmissverständlich reagieren: »Durch Schweigen kann schnell der Eindruck entstehen, dass Ressentiments geduldet werden.« Schülerinnen und Schüler sollten sich jederzeit bewusst sein, dass sie in Bezug auf Antisemitismus keine Toleranz erwarten können. Auch »predigen« ist nach Überzeugung des Anne Frank Zentrums eine unwirksame Methode für eine Veränderung von antisemitischen Einstellungen. Die Klassen sollten stattdessen die Möglichkeit haben, Probleme zu diskutieren. Zur Vertiefung sind die Arbeitsblätter mit ausführlichen Quellenangaben versehen. Immer wieder müsse auf die Vielschichtigkeit jüdischen Lebens hingewiesen werden: »Gerade in der Geschichtsarbeit zur Shoah lässt sich beobachten, dass Jüdinnen und Juden auf ihre Opferrolle reduziert werden.« Nach diesem Seminartag diskutieren die Referendarinnen und Referendare noch lange. Fazit: Allen hat das Seminar geholfen. Einige räumen ein, Korrekturen beim Denken vornehmen zu müssen. Oft werde der historische Kontext vergessen. So sei die Wurzelgeschichte von Juden und Muslimen ähnlich: Abraham heiße bei den Muslimen Ibrahim.