nd-aktuell.de / 31.03.2009 / Gesund leben / Seite 14

Nitrat als Blutdrucksenker

Wundheilung und Nervensystem können von anorganischem Stoff profitieren

Tamás Nagy
Nur wenige Nahrungsbestandteile haben eine so wechselhafte Geschichte hinter sich wie Nitrat und Nitrit. Bevor sie durch die Überdüngung als Schadstoffe in Verruf geraten sind, galten sie rund um den Globus als bedeutende Medikamente.

Im schottischen Edinburgh merkte man bereits 1860, dass das Inhalieren von Amylnitrit die Schmerzen bei einer Erkrankung der Herzkranzgefäße (Angina Pectoris) lindert. Da der Wirkstoff aber flüchtig und daher nur schwer zu verabreichen war, wurde er später durch Nitroglycerin (Glycerinnitrat) ersetzt. Propyl-, Ethyl- und Isobutylnitrit galten ebenfalls als Alternative. Nitroglycerin zählte noch vor einem halben Jahrhundert zu den wichtigsten Blutdrucksenkern und erfreute sich auch bei Homöopathen großer Beliebtheit.

In der traditionellen chinesischen Medizin kam bevorzugt Salpeter (Kaliumnitrat) zum Einsatz, den die Herzpatienten unter ihrer Zunge plazierten und stückweise schluckten. Der eigentliche Wirkstoff dürfte auch hier das Nitrit gewesen sein, das durch Einwirkung der Mundflora aus Nitrat entstand.

In Europa wurde Salpeter bei Hautkrankheiten verwendet, zur Behandlung von Asthma inhaliert und bei Wasseransammlungen im Gewebe verschrieben. In den USA setzte man auf das effektivere Entwässerungsmittel Ammoniumnitrat. Erst Mitte der 1930er Jahre wurden die anorganischen Nitrate von organischen Entwässerungsmitteln abgelöst. Eine andere Anwendung hat sich bis heute in zahlreichen Ländern gehalten: Die Gabe von Nitrit bei akuten Blausäurevergiftungen. In den letzten Jahrzehnten entpuppte sich Nitrit auch als wirksames Gegenmittel bei einer Vergiftung mit Schwefelwasserstoff.

Mittlerweile ist bekannt, dass der menschliche Körper selbst Nitrit bildet – und zwar vor allem aus dem Nitrat der Nahrung. Das Nitrit dient der Gewinnung von Stickoxiden, mit denen Blutdruck, Immunfunktion, Wundheilung und Nervensystem gesteuert werden. Stickoxide entspannen nicht nur die glatte Muskulatur der Blutgefäße, sondern wirken auch antibakteriell. So hemmen sie beispielsweise im Magen das Wachstum von Mikroorganismen und töten Krankheitserreger wie Salmonellen, Helicobacter pylori und EHEC ab – ein Effekt, der mit Magensäure allein ausbleibt.

Da das Nitrit bei günstigen Bedingungen sogar gegen antibiotikaresistente Pseudomonaden wirkt, wurde es inzwischen als Mittel gegen chronische Lungeninfektionen bei Patienten mit Cystischer Fibrose (Mukoviszidose) vorgeschlagen. Auch seine Erprobung bei Hautkrankheiten erscheint vielversprechend, zumal sich die Haut durch das Nitrit im Schweiß vor Bakterien schützt. Antibiotische Effekte konnten bereits gegenüber dem Erreger der Akne (Propionibacterium acnes) sowie dem Verursacher von Furunkeln (Staphylococcus aureus) demonstriert werden.

Dass Nitrat und Nitrit heute nur noch eine untergeordnete Rolle in der Medizin spielen, liegt weniger daran, dass sie in Lebensmitteln wie Salat oder Trinkwasser mit Höchstmengen belegt wurden. Vielmehr scheint die Pharmaindustrie wenig interessiert, weil sich einfache anorganische Verbindungen schwer patentieren lassen. Obendrein sind die Stoffe billig und frei verfügbar. Vielleicht kommen stattdessen die Ernährungsmediziner auf den Geschmack: Weil Nitrat bekanntlich den Blutdruck senkt und die Zusammenlagerung von Blutplättchen verhindert, wird inzwischen über seinen möglichen Gesundheitsnutzen im Rahmen der mediterranen Diät spekuliert.