Es ist Abend in Khorog, dem Verwaltungszentrum der Autonomen Region Berg-Badachschan (GBAO). Zwei Männer gehen auf der Straße am Fluss entlang, der durch die von hohen Bergen umschlossene Stadt fließt. Mit einer Taschenlampe leuchten sie auf den Weg vor ihren Füßen, so dass sie nicht stolpern. Nur wenig Licht fällt aus den Fenstern auf den Weg, und über der Stadt, über den hohen Berggipfeln funkeln ein paar Sterne. Mehr Straßenbeleuchtung gibt es hier nicht.
Im Vergleich zu Deutschland, wo Dauerbeleuchtung zum Standard gehört, muss die Energiebilanz hier traumhaft niedrig sein. Ist es da nicht Zynismus, wenn deutsche Entwicklungsorganisationen in dieser entlegenen Region für die Verbreitung energieeffizienter Technologien in den Haushalten werben?
»Hier geht es nicht so sehr um die Senkung des CO2-Ausstoßes, wie es in den westlichen Industrienationen häufig der Fall ist, wenn von Energieeffizienz die Rede ist. Hier geht es um die Bedrohung von Natur- und Lebensraum und die wachsende Verarmung der Bevölkerung, die unser Projekt vermindern will.« Heike Volkmer lebt seit einem Jahr in Khorog und arbeitet in einem Kooperationsprojekt des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED), der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und des tadschikischen Landnutzungskomitees für die Region. Im Rahmen des Projekts »Nachhaltige Nutzung Natürlicher Ressourcen in GBAO« ist die junge Geographin aus dem Spreewald dafür zuständig, zusammen mit der lokalen Bevölkerung und technischen Experten neue energieeffiziente Technologien für die Haushalte in der Region zu entwickeln und diese zu verbreiten: effizientere Öfen oder solare Wassererhitzer sowie isolierende Fenster und Türen. »Wichtig ist dabei«, so die 29-Jährige, »dass diese Dinge auch den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Pamiri entsprechen.«
Die junge Geographin lenkt den Geländewagen, in dem ihre Projektkollegen sitzen, die holprige Straße am Fluss entlang, in das Dorf Tavdem, das einige Kilometer von Khorog entfernt liegt. Es ist ein sonniges Frühlingswochenende, an dem der Workshop zu Wärmeisolierung von Häusern beginnt, den das Projekt organisiert hat.
In ganz Tadschikistan ist die Energieversorgung problematisch. Aber in der schroffen Berglandschaft des Pamirs ist die Situation noch angespannter. Die Gebiete liegen auf einer durchschnittlichen Höhe von 4000 Metern über dem Meeresspiegel – und damit größtenteils oberhalb der Baumgrenze. Als Brennstoff verwertbares Holz wächst spärlich und langsam im Pamirgebirge.
»Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wird Kohle nicht mehr subventioniert und ist unbezahlbar geworden für die Bevölkerung«, erklärt Heike Volkmer. Nun werden auf dem Dach der Welt vorrangig Holz und getrockneter Tierdung zum Heizen und Kochen benutzt. Natürliche Ressourcen also, die die Umwelt eigentlich für die eigene Regeneration benötigt. Die Bodenqualität verschlechtert sich. Und wo einst dichte Auenwälder wuchsen, weht heute an vielen Stellen Sand über kahle Flächen. Desertifikation nennen das die Fachleute. Heike Volkmer fasst die Folgen dieser wenig nachhaltigen Ressourcennutzung zusammen: »Die Menschen hier leben vor allem von Selbstversorgung. Wenn die Fruchtbarkeit der Erde sinkt, haben sie weniger zu essen. Häufig sind sie zudem bis zu 24 Stunden unterwegs, um das rare Brennholz zu sammeln. Diese langen Wege sind im Gebirge gefährlich. Außerdem fehlt den Kindern diese Zeit für Hausaufgaben, den Erwachsenen für Arbeiten, die das Einkommen der Familien verbessern könnten.«
Sie biegt von der Schotterpiste ab und parkt den Jeep vor einem der Häuser in Tavdem. Der junge Hausbesitzer Rustam Nasimow steht schon am Holztor und wartet auf sie. Er freut sich, dass sein Haus als Demonstrationshaus für den Workshop zur Wärmeisolierung ausgesucht wurde. Denn der hohe Brennstoffbedarf seines Haushaltes hatte ihn schon lange gestört.
Sein Haus ist ein typisches Pamirhaus. Im Ganzen gesehen höchst malerisch: Das Herzstück besteht aus einem annähernd quadratischen Raum, der sich zu den Seiten über zwei Ebenen nach oben stuft. In der Mitte des Raumes steht der Ofen, mit dem geheizt und gekocht wird. Darüber befindet sich das traditionelle Dachfenster, durch das Licht fällt und der Rauch abzieht. Teppiche und längliche Kissen bieten einladende Sitzgelegenheiten. Hier verbringt die Familie den Großteil ihrer Zeit: Hier wird geschlafen, gekocht, gegessen – gelebt.
Für einen Energieeffizienz-Experten ist das Haus hingegen eine Katastrophe. Wände und Dach bestehen nur aus Stein und ein paar Lehmschichten. Die Tür ist schlecht eingepasst und weist breite Spalten am Rahmen auf. Die Fenster sind stellenweise nur mit Plastikfolie ausgebessert. Glas ist teuer und hier oben Mangelware. Das Dachfenster, das fast immer offen steht, ist energetisch wie ein großes Loch im Dach, durch das die nach oben steigende Hitze ungehindert den Wohnraum verlässt. Mit ihren ohnehin schon knappen Ressourcen beheizen die Bewohner so ungewollt die Umgebung mit statt ihren eigenen Wohnraum.
Die Workshopteilnehmer haben sich im Garten um Heike Volkmer und ihre Kollegen versammelt, jetzt kann es losgehen. Boden und Dach werden mit Sägespänen isoliert. Die im Rahmen des Projektes entworfene Tür und das Dachfenster werden eingesetzt. Zusätzlich wird ein Doppelglasfenster in die südliche Hauswand eingebaut – die vermutlich simpelste Form einer Solarheizung.
Heike Volkmer erläutert das Konzept des Workshops: »Die Handwerker lernen hier, die wärmeisolierenden Komponenten selbstständig anzufertigen und einzubauen. Außerdem werden technische Konsultanten ausgebildet, die ab nächstem Monat zusammen mit Kreditberatern in den Dörfern für Wärmeisolierung werben und die Hausbesitzer individuell beraten können. Zusätzlich kann die lokale Bevölkerung anhand der fertigen Modellhäuser die Möglichkeiten von Wärmeisolierung direkt erfahren.« Dieses Wissen ist essenziell: »Wenn die Menschen nicht verstehen, wie sich ihr Leben durch energieeffiziente Technologien in ihren Häusern verbessern kann, werden diese wirkungslos bleiben.«
Am Ende des Workshops steht in dem Dörfchen Tavdem ein wärmeisoliertes Häuschen und davor ein sehr zufriedener Rustam Nasimow: »Ich bin 35 Jahre alt – Zeit zu heiraten. Jetzt kann ich meine Hochzeit in einem schönen, warmen Haus feiern!«
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/151107.waermeisolierung-fuer-das-dach-der-welt.html