Auf dem Weg zum »gläsernen Inder«?

Bei der Aktion Census 2011 will der Staat diesmal auch biometrische Daten erfassen

  • Henri Rudolph, Delhi
  • Lesedauer: 3 Min.
Unter dem offiziellen Motto »Unser Zensus – unsere Zukunft« hat in Indien die 15. und zugleich umfangreichste Volkszählung aller Zeiten begonnen. Sie fügt sich in ein neues System der Informationserfassung über die Bürger des Landes ein und wirft damit auch Fragen nach dem »gläsernen Inder« auf.

Der Startschuss zur logistischen Herkulesaufgabe, die innerhalb von zwölf Monaten bewältigt werden soll, 12 000 Tonnen Papier für Formulare und Instruktionen verschlingen und rund 1,2 Milliarden Dollar kosten wird, erfolgte am 1. April im Palast der Staatspräsidentin Pratibha Devisingh Patil. Wie allen Indern über 15 Jahren legten die Beamten auch der »Bürgerin Nr. 1« der Republik zunächst zwei Formulare mit Dutzenden Fragen vor. Erfragt werden darin Angaben zum Haus mit allen Anschlüssen (Wasser, Strom, Abwasser und Toiletten) wie auch zur Person – vom Namen, dem Ehestand, den Namen der Eltern und des Ehepartners bis zum Beruf, dem Bildungsstand, den Wohnanschriften und zahlreichen weiteren Details. Beide Dokumente markieren den ersten Teil der Volkszählung. Dazu gehört auch die Erfassung biometrischer Angaben, Passfotos, Abdrücke aller zehn Finger und eventuell der Abbildung der Iris der Augen. Der zweite Teil, die eigentliche Personenzählung, wird nächstes Jahr stattfinden. Auch Obdachlose, auf Fußwegen und Bahnsteigen Hausende, Heimbewohner und Gefängnisinsassen werden dann berücksichtigt. Als Stichtag für die neue Bevölkerungszahl, die bei einer jährlichen Wachstumsrate von 1,4 Prozent über 1,3 Milliarden liegen dürfte, gilt der 1. März 2011.

Nach einem penibel ausgearbeiteten Plan schwärmen 2,5 Millionen Beamte in alle 7742 Städte und 608 786 Dörfer der 35 Unionsstaaten und Unionsterritorien aus, um Befragungen in über 240 Millionen Haushalten vorzunehmen. Nach offizieller Darstellung wird die Erhebung eine detaillierte Statistik über demografische Entwicklungen, ökonomische Aktivitäten, Berufe und Beschäftigungsverhältnisse, Bildungsniveau, Wohnverhältnisse, Fruchtbarkeits- und Sterberaten, Sprachen, Religionen, ethnische Strukturen, Migrationen, Urbanisierung und Landflucht liefern. Fast nur nebenbei erwähnen die meisten Medien die sicherheitsrelevanten Aspekte der Volkszählung – die Gefahr, dass das Endprodukt ein »gläserner Bürger« fast ohne Privatsphäre sein könnte.

Überraschend wird die Zugehörigkeit zur Kaste nicht erfasst. G.K. Pillai, Staatssekretär im Innenministerium, erklärte dazu, es gebe keine sichere Methode, um die Echtheit der Aussagen zur Kastenzugehörigkeit zu überprüfen. Man bekäme kein gültiges Bild von der Kastenstruktur des Landes. Allerdings gibt es dagegen Einwände. Dem Gericht im Unionsstaat Kerala liegt bereits eine Eingabe vor, die sich für eine Frage nach der Kaste ausspricht, damit sozial und ökonomisch schwache und rückständige Gruppen identifiziert werden und Nutzen aus den Wohlfahrtsprogrammen ziehen können.

Die für das Nationale Bevölkerungsregister gesammelten Informationen werden samt biometrischen Angaben kopiert und der im Vorjahr gegründeten Unique Identification Authority of India (UIDAI) zur Verfügung gestellt. Diese neue Institution, die der staatlichen Plankommission zugeordnet ist, speichert die Angaben in einer zentralisierten Datenbank und befasst sich mit der Erstellung von Personenkennziffern für jeden Inder; eine Prozedur, die sich über mehr als fünf Jahre erstrecken wird.

Bisher gibt es kein einheitliches Personenstandswesen in Indien. Die Personenkennziffer soll später Bestandteil einer vom Nationalen Bevölkerungsregister ausgestellten Identifikationskarte (eine Art Personalausweis) werden. Indiens Generalregistrator und Zensuskommissar C. Chandramouli wie auch UIDAI-Chef Nandan Nilekani betonten mehrfach, personenbezogene Informationen würden absolut vertraulich behandelt werden und nicht einmal Gerichten zugänglich sein.

Doch alle diese Zusicherungen haben Zweifler nicht zum Schweigen gebracht. Usha Ramanathan, eine unabhängige Rechtswissenschaftlerin, stellte in der Zeitung »The Hindu« den »Zensus 2011« in einen noch größeren Rahmen. Sie verwies auf die Bestrebungen, ein NATGRID, ein Netzwerk aller elf indischen Sicherheits- und Geheimdienstagenturen, aufzubauen. Dafür wären Zensus und Nationales Bevölkerungsregister wertvolle Informationsquellen zum Erstellen detaillierter Bürgerprofile. Die Autorin fragt: »Warum ist das ein Problem? Weil die Geheimhaltung aufgehoben wird. Weil Raum entsteht für Missbrauch von Macht, die der Besitzer dieser Information erwirbt.« Sie verweist darauf, dass die Geheimdienste nach wie vor keiner Verantwortlichkeit unterlägen und das neue umfassende System der Informationsbeschaffung die Gefahr berge, dass jeder »als potenzielle terroristische und Sicherheitsbedrohung« behandelt werden könnte.

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