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»Duftende Blume« – ein Segen für Kambodscha

Der Schweizer Arzt Dr. Beat Richner baute im Land am Mekong »in königlichem Auftrag« Kinderkrankenhäuser auf. Er streitet gegen »Billigmedizin« und dafür, dass jeder Patient – und sei er noch so arm – das Recht auf bestmögliche Behandlung hat.

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Schon früh am Morgen warten Mütter mit ihren kranken Kindern im Hof der Klinik auf die Behandlung.
Schon früh am Morgen warten Mütter mit ihren kranken Kindern im Hof der Klinik auf die Behandlung.

Von Robert Luchs, Phnom Penh

An den weltberühmten Tempeln von Angkor Wat wird Besuchern an manchen Tagen ein geradezu exotisches Erlebnis zuteil: Inmitten einer Ruine sitzt ein etwas beleibter Herr und entlockt einem Cello Töne. Der 63-jährige Dr. Beat Richner, den sie in der Schweiz »Beatocello« nennen, musiziert fast jeden Sonnabend auch im Jayavarman-Spital in Siem Reap unweit von Angkor Wat. Und nach dem Konzert berichtet der Kinderarzt dem Publikum von seiner Arbeit in Kambodscha.

Bevor Richner in den 80er Jahren in Zürich als Kinderarzt praktizierte, war er in Phnom Penh bereits als Assistenzarzt tätig gewesen. Beim Einmarsch der Soldaten Pol Pots im April 1975 musste er die kambodschanische Hauptstadt jedoch fluchtartig verlassen. Als der Schweizer das südostasiatische Land später wieder bereiste, fragte ihn der damalige König Norodom Sihanouk, ob er nicht bleiben und das Kinderkrankenhaus »Kantha Bopha« aufbauen wolle.

Statt einem Hospital entstanden fünf

Kantha Bopha – »Duftende Blume« – war die Lieblingstochter des Königs. Sie starb im Alter von vier Jahren an Leukämie. In ihrem Namen wurden bis heute hunderttausende kambodschanische Kinder behandelt.

Ohne die Förderung des inzwischen 87-jährigen Sihanouk, der seine eigenen Gebrechen in Peking behandeln lässt und sich deshalb heute meist dort aufhält, wäre der Bau von inzwischen fünf mit modernen medizinischen Geräten ausgestatteten Hospitälern wohl nicht möglich gewesen. So entstand »Kantha Bopha II« – errichtet auch deshalb, weil immer wieder Kinder aus Platzmangel abgewiesen werden mussten – auf dem Gelände des imposanten Königspalastes in Phnom Penh.

Spendengelder vorwiegend aus der Schweiz, später auch finanzielle Hilfen der Regierung in Bern waren weitere Voraussetzungen, die den Kraftakt ermöglichten. Und immer wieder gab und gibt »Beatocello« seine Konzerte und wirbt für seine im Namen der Humanität entstandenen Projekte.

Um sieben Uhr morgens schon sitzen hunderte Kinder, meist mit ihren Müttern, eng aneinandergedrückt im Innenhof eines der Häuser. In den Händen halten sie alle eine Nummer. Die kleine, von Tuberkulose geschwächte Nakrwa war zwei Tage lang mit ihrer Mutter unterwegs. Zunächst ging es auf dem von einem Wasserbüffel gezogenen Holzkarren nur mühsam voran. Dann brachte sie ein Lastwagen in das Kinderkrankenhaus »Kantha Bopha« in Phnom Penh.

Der Großteil der kleinen Patienten wird ambulant behandelt, schwere Fälle werden sofort stationär aufgenommen. Tuberkulose, Hinhaut- und Lungenentzündungen, Malaria, Dengue-Fieber und vor allem schwerste Durchfallerkrankungen müssen kuriert werden. »Die hospitalisierten Kinder leiden meist an mehreren Krankheiten zugleich«, berichtet Dr. Richner.

Der in dürftige Zahlen gefasste Krankenhausalltag liest sich so: 1732 Betten stehen zur Verfügung, täglich werden etwa 1500 Poliklinik-Patienten behandelt, 40 chirurgische Eingriffe vorgenommen, 100 Röntgenaufnahmen, 30 Ultraschalluntersuchungen und 160 Blutanalysen gemacht ...

Minenopfer und Missgebildete

Noch immer leidet Kambodscha an den Folgen eines grausamen Krieges, der von außen ins Land getragen, aber ebenso gewalttätig in den eigenen Reihen ausgefochten wurde. Folgen, die auch in »Kantha Bopha« allgegenwärtig sind: Da sieht man von Minen verstümmelte Kinder, aber auch Missgebildete. Er stoße noch heute auf furchtbare Schädigungen, die durch die im Vietnamkrieg versprühten Entlaubungsmittel hervorgerufen werden, berichtet Richner. Das einmal vom Körper aufgenommene Gift wirke selbst in folgenden Generationen fort. 550 000 Bomben wurden damals von der US-Armee über Kambodscha abgeworfen, ohne dass dem Land je der Krieg erklärt worden wäre.

Doch eines der größten Probleme kam erst später auf das Land zu: Aids. Mit Beginn der Mission der Vereinten Nationen (UNTAC) zur Vorbereitung der ersten Wahlen nach dem Friedensschluss in den Jahren 1992 bis 1993 begann sich die Seuche wie ein Flächenbrand auszubreiten. Es dauerte Jahre, bevor HIV/Aids halbwegs eingedämmt werden konnte. Vor zehn Jahren hatte die Blutbank im Hospital genauen Aufschluss über die Verbreitung der Krankheit gegeben: Sieben Prozent aller Spender und zwei Prozent der Kinder unter fünf Jahren waren HIV-po-sitiv.

Wie in Europa wird in »Kantha Bopha« jede Blutspende auf HIV, Hepatitis A und B getestet. Das kostet viel Geld, »das man aber auch armen Menschen schuldig ist«, sagt Dr. Richner. Der Schweizer lag lange Zeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Clinch. Deren Empfehlung laute: Arme Medizin für arme Menschen. Richner kann darüber noch heute in Rage geraten: »Es gibt keine billige Medizin.« Jeder Patient habe das gleiche Recht auf das bestmögliche Medikament. Alles andere sei eine Verletzung der Menschenrechte.

In »Kantha Bopha« wurde schon sehr früh schon ein Computer-Tomograph eingesetzt. Das habe ihm den Vorwurf eingebracht, »Rolls-Royce-Medizin« zu betreiben, berichtet der Arzt empört.

Als die britische Prinzessin Anne vor Jahren einem der Spitäler einen Besuch abstattete, meinte sie, bevor man in Kambodscha derartige moderne Apparaturen installiere, müsse man den Kambodschanern erst einmal beibringen, sich die Hände zu waschen. Richner entgegnet ihr, auch wenn sie ihre Hände 24 Stunden am Tag wasche, werde sie eine Tuberkulose nicht los. Die Tuberkulose sei längst nicht eingedämmt und stehe in unheilvoller Verbindung mit HIV/Aids.

Natürlich wird in »Kantha Bopha« auf Sauberkeit und Hygiene größter Wert gelegt. Mütter oder Väter werden – häufig zum ersten Mal in ihrem Leben – über Vorsorgemethoden aufgeklärt, auch über den Gebrauch von Toiletten. Richners Hospitäler sind bis heute die einzigen im Land, denen ständig genügend Wasser und Strom zur Verfügung stehen.

Kann Richner sein Lebenswerk retten?

In einem Land mit einem kümmerlichen Gesundheitsbudget, einem Schwarzmarkt für Medikamente und wuchernder Korruption auch in Krankenhäusern mag »Kantha Bopha« wie ein weißer Elefant im Dschungel anmuten. Kambodschanische Krankenhäuser müssen in der Tat mit einfachsten Geräten auskommen, doch das könne kein Argument gegen moderne Kliniken sein, meint der Schweizer Mediziner. Dass die Behandlung kostenlos erfolgt, entspreche humanitären Grundsätzen und vor allem der Einsicht in die kambodschanische Realität. Wer von den Patienten kann es sich leisten, neben den Reisekosten auch noch teure Honorare oder womöglich, wie in anderen Hospitälern, Bestechungsgelder zu zahlen?

Es heißt, Dr. Richner denke angesichts seiner 63 Jahre allmählich an einen Rückzug aus Kambodscha. Doch will er versuchen, sein Lebenswerk durch garantierte Hilfszusagen aus der Schweiz für die nächsten Jahre abzusichern. Dass es gelingt, stellen Freunde und Gönner des Arztes und Musikers allerdings in Frage. Die Hospitäler seien nun einmal mit seinem Namen und seiner Anwesenheit aufs engste verbunden.

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