Der Wedding ist das Ruhrgebiet von Berlin. Und genau wie dort die Zechen still gelegt sind, ist hier die einst ansässige Industrie samt ihren Arbeitsplätzen und klassischen Lebensläufen so gut wie verschwunden. Nun kommt die Kunst. Kunstorte fungieren als Quartiere belebender Spielplatz und als Austragungsort für Zukunftsträume. Sie wirken nicht selten auch als Gentrifikationsbeschleuniger, was zur Ambivalenz engagierter Projekte beiträgt.
Adrienne Goehler, einstige Wissenschafts- und Kultursenatorin, hat zu Ausstellung »Zur Nachahmung empfohlen!« in die Uferhallen in den Wedding geladen, um der Debatte über ökologische Zukunftsvisionen und praktischer Nachhaltigkeit einen Impuls zu geben. 34 internationalen Künstler, die sich zum Teil seit Jahren bereits mit Technologietransfer und Kunst, mit sozialen Initiativprojekten, mit Archivarbeit und anderen Konzepten auseinandersetzten, präsentieren ihre Arbeiten in der großen Maschinenhalle der gründerzeitlichen Backsteinbauten.
Wenn sich etwas ändern soll, müssen neue Sichtweisen bis in die Kapillare der Gesellschaft eindringen. Und so selbstbewusst wie jedes Ringen um Zukunft daherkommen muss, um überhaupt eine Chance zu haben, heißt es: »Die Expeditionen in Ästhetik und Nachhaltigkeit zeigen künstlerische Praktiken, die zur Erhaltung des Planeten beitragen und Einfluss auf bewusstes Konsumverhalten nehmen wollen.« Da atmet schwer der Laubhügel! (eine Installation von I von Clement Pice-Thomas – GB, USA)
Man sollte die Ausstellung besuchen, um seine Vorstellungen dahingehend zu erweitern, dass Zukünftiges originell und klein beginnt und eben doch anders als gedacht sein kann, dass ehe Neues beginnt, das Vorhandene unter die Lupe genommen werden muss. Impulse dafür gibt zum Beispiel die gebürtige Berlinerin Christin Lahr, die seit 2009 täglich einen Cent an das Bundesministerium der Finanzen überweist und damit dem wachsenden Schuldenberg in »homöopathischen Dosen« entgegenzuwirken versucht. In das Feld »Verwendungszweck« schreibt sie jeweils 108 Zeichen aus »DAS KAPITAL – Kritik der politischen Ökonomie« von Karl Marx. Auf diese Weise wird das geschichtsträchtige Werk per Online-Banking auf das Staatskonto bei der Bundesbank übertragen.
Ursula Schulz-Dornburg, die in ihrer minimalistischen Ästhetik etwa an Hanne Darboven erinnert, reiht in einer Fotoinstallation Weizensorten aneinander. Mit filigraner Schönheit und subtiler Differenz polemisiert sie gegen die Reduzierung der Vielfalt zugunsten eines profitablen »Hybridweizens«. Die Aufnahmen der Ähren entstanden bereits 1995 in der Weizen-Gen Bank der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft, und im Vavilov-Institut in Sankt Petersburg, in denen mehr als 66 000 verschiedene Weizenarten katalogisiert und archiviert sind.
Makaber mag man es finden, auch über den Tod im Sinne von Nachhaltigkeit nachzudenken. Hier berührt die Natur bewahrende Effizienz die kulturelle Würde des Menschen empfindlich. Mit »The infinity Burial Project« gibt Jae Rhin Lee Impulse für ein Umlernen, um Leben zu erhalten.
Ob die jeweiligen künstlerischen Übertragungen generell genügend Qualität haben, um die Betrachter nachhaltig zu berühren, ist eine Frage des Selbstexperiments.
Zur Nachahmung Empfohlen! Expeditionen in Ästhetik und Nachhaltigkeit. Uferhalle, Uferstraße 8-11, 13 357 Wedding, Auftaktausstellung noch bis 10. Oktober, Di-So 12-20 Uhr, Do 10-22 Uhr
Internet: www.z-n-e.info[1]
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/181003.der-warme-atem-von-gruenem-gras.html