Beinahe hätten Psychologen alles verhindert. Sie hatten Pelé, diesen 17-jährigen Ballvirtuosen, ebenso wie Garrincha, seinen 24 Jahre alten Klubkollegen beim FC Santos, vor der Fußball-WM 1958 für untauglich erklärt. Diagnose: »infantil«. Zwei Spätpubertierende, kurzum: unreife Risikofaktoren. Sie durften zwar mit nach Schweden reisen, kauerten jedoch die ersten Spiele auf der Bank. Es benötigte eine Revolte der Stammelf, die Nationaltrainer Vincente Feola dazu veranlasste, beide Jungspunde im letzten Vorrundenspiel gegen Mitfavorit Sowjetunion aufzubieten. Eine weise Entscheidung.
Gerade 63 Sekunden waren bei der Partie im Ullevi-Stadion von Göteborg rum, da raunten die 50 000 Zuschauer das erste Mal, als ein satter Rechtsschuss von Pelé an den linken Pfosten klatschte. Ein erstes Klopfzeichen an das Tor zum Weltruhm. Später gab er die Vorlage zum 2:0-Endstand. Auch Garrincha zauberte, mit seinen Dribblings verknotete er Verteidigerbeine wie am Fließband. Von da an spielten die beiden in allen WM-Partien mit. Und was folgte, war die Geburtsstunde von »O Rei Pelé«, von König Pelé.
Diesen Sonnabend wird der Junge aus Três Coraçoes, einem kleinen Ort zwischen São Paulo und Rio de Janeiro, 70 Jahre alt. Er wird wieder jugendhaft lächeln wie damals in Schweden, als ein gewisser Edson Arantes do Nascimento, genannt Pelé, auf einen Schlag zum Wunderstürmer aufstieg.
Pelé war dreizehn, als er 1953 bei einem Jugendturnier für Straßenmannschaften entdeckt wurde. Heute landet jeder halbwegs begabte Brasilianer in Europa. Pelé, drei Weltmeistertitel schwer, kam hingegen mit 15 zum FC Santos und blieb dort 18 Jahre lang. Erstens, weil ihn der Staat früh zum nationalen Schatz erklärte. Zweitens, weil Pelé auch in Brasilien gut verdiente, nicht nur als Fußballer, auch als Jungunternehmer und Werbeikone für Kaffee, Massageöl und Haarwuchsmittel.
Später, ein Jahr nach seinem ersten Rücktritt, kickte er von 1975 an noch für drei Spielzeiten in den USA bei Cosmos New York. Schwindelerregende 1282 Tore gelangen ihm in 1362 Profispielen, darunter 92 Hattricks.
Einen solchen hatte er auch 1958 im Nationaltrikot bei der WM in Schweden im Repertoire. Aber der Reihe nach. Viertelfinale gegen Wales: 1:0 – dank Pelé, der sich seither jüngster WM-Torschütze nennen darf. Im Halbfinale gegen Frankreich folgte die Entfesselung, Pelé traf dreimal beim 5:2. Die Fußballwelt staunte über diesen Samba-Tänzer von Stockholm, der
alles mitbrachte: Tempo, Technik, Spielwitz.
Zauberhaft auch das Finale gegen Schweden. Wieder hieß es 5:2, der erste WM-Triumph für Brasilien. Diesmal traf der Bursche im blauen Trikot mit der Nummer 10 doppelt. Einer der Treffer gilt noch heute als Wundertor, als Pelé bei der Ballannahme mit einem Lupfer gleich beide schwedischen Innenverteidiger narrte, um anschließend volley zu vollenden. »Daran waren die Europäer einfach nicht gewöhnt«, scherzte Pelé später. Wie auch? Nicht nur der Trick war neu, einer wie Pelé war es auch.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/182521.auf-ein-taenzchen-in-stockholm.html