nd-aktuell.de / 21.01.2011 / Politik / Seite 7

Junge russische Antifaschisten demonstrierten

Vor zwei Jahren wurden in Moskau Stanislaw Markelow und Anastasija Baburowa ermordet

Ulrich Heyden, Moskau
Etwa 1000 Menschen beteiligten sich am Mittwochabend in Moskau an einem Marsch zum Gedenken an den Doppelmord, dem vor zwei Jahren der Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und die Journalistin Anastasija Baburowa zum Opfer fielen.

»Wir vergessen nicht, wir vergeben nicht«, riefen die meist jugendliche Demonstranten, die am Mittwochabend bei Minustemperaturen von 15 Grad zum Puschkin-Platz zogen. Die Demonstranten, die sich ihre Gesichter mit Tüchern und Schals verdeckt hatten, gedachten des Rechtsanwalts Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija Baburowa, die am 19. Januar 2009 im Moskauer Zentrum auf offener Straße erschossen worden waren. Markelow hatte im Fall eines ermordeten Antifaschisten harte Gefängnisstrafen für die Täter durchgesetzt, Baburowa hatte über die Neonazi-Szene berichtet.

Die Tatverdächtigen, Nikita Tichonow und seine Helferin Jewgenija Chasis, Mitglieder der Neonazi-Organisation »Russische Art«, sitzen seit über einem Jahr in Untersuchungshaft. Man habe »keine Zweifel«, dass es sich bei den beiden um die Täter handelt, erklärte ein Sprecher auf der Abschlusskundgebung des Gedenkmarsches. Ende Januar beginnt in Moskau die Hauptverhandlung gegen die Tatverdächtigen.

Deren Anwälte streiten jede Beteiligung ihrer Mandanten an dem Doppelmord ab. Doch wie die Zeitung »Kommersant« berichtete, verfügt die Staatsanwaltschaft über Audioaufnahmen, die gegen Tichonow und Chasis sprechen. Deren Wohnung war unmittelbar nach der Tat abgehört worden. Die beiden sollen über Auslandsreispläne geplaudert haben. Vorher wollten sie aber noch weitere Personen umbringen, darunter bekannte Sportler aus dem Kaukasus, schrieb das Blatt.

Den Gedenkmarsch hatte ein überparteiliches »Komitee 19. Januar« organisiert, dem junge Antifaschisten und Menschenrechtler angehören. Unter den Teilnehmern sah man den liberalen Politiker Wladimir Ryshkow, die Korruptionsermittlerin Jelena Panfilowa und den linken Duma-Abgeordneten Oleg Schein.

Die Demonstranten waren nicht in Trauerstimmung. Sie waren wütend und riefen: »Faschisten morden, der Staat schweigt.« Immer wieder werden Gastarbeiter aus dem Kaukasus und aus Zentralasien von Neonazis überfallen und ermordet. Auch die jungen Antifaschisten in Moskau leben gefährlich. »Es läuft ein regelrechter Straßenkampf«, klagte der Menschenrechtler Lew Ponomarjow. Junge Antifa-Aktivisten werden vor Konzerten oder vor ihren Wohnungen von Neonazis angegriffen. Ponomarjow, der auch selbst schon überfallen wurde und der den Moskauer Gedenkmarsch angemeldet hatte, erklärte gegenüber dieser Zeitung, die Jugendlichen, die sich gegen die Nazis wehren, bräuchten »mehr Anerkennung und Dankbarkeit« von Seiten der Erwachsenen.

Auf die Frage, warum so wenige ältere Moskauer zu der genehmigten Demonstration gekommen waren, erklärte einer der Teilnehmer, die russische Mittelschicht glaube, »dass sie die zunehmende Ausländerfeindlichkeit nicht betrifft«. Viele zweifelten auch daran, dass Demonstrationen etwas bringen.

Oleg Orlow, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation Memorial, gab den Regierenden eine Mitschuld an der zunehmenden Ausländerfeindlichkeit in Russland. »Die Macht spielt mit der Ausländerfeindlichkeit. Uns sind verschiedene Vorfälle bekannt, dass neonazistische Gruppen oder aggressive Gruppen von Fußballfans zur Auflösung von Kundgebungen der Opposition eingesetzt wurden.« Beim Aufmarsch von 7000 Nationalisten und Fußballfans vor dem Kreml am 11. Dezember habe man jedoch gesehen, »dass der Drache, den sie selbst groß gezogen haben, außer Kontrolle geraten ist«.

Auf einer Sitzung des Staatsrates Ende Dezember 2010 hatte Präsident Dmitri Medwedjew erklärt, Konflikte zwischen verschiedenen Nationalitäten seien eine »tödliche Gefahr« für Russland. Premier Wladimir Putin hatte zuvor dazu aufgerufen, den Vielvölkerstaat Russland gemeinsam zu bewahren und die »Immunität« gegen Fremdenfeindlichkeit zu stärken.