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Opfer kämpfen noch
Contergan-Arzneimittelskandal beschäftigt auch nach 50 Jahren die Gerichte
Das Schlafmittel »Contergan« mit dem Wirkstoff Thalidomid wurde von der Chemiefirma Grünenthal 1957 auf den Markt gebracht. Auch werdenden Müttern versprach es ruhige Nächte. In den Jahren danach wurden als Folge der Einnahme mindestens 5000 schwer missgebildete Kinder geboren, ehe es der Hersteller 1961 zurückzog. Bis heute sorgt der Arzneimittelskandal für Schlagzeilen – vor allem wegen andauernder Auseinandersetzungen über die medizinische und finanzielle Versorgung der Geschädigten. 1972 wurde die Contergan-Stiftungsgesellschaft gegründet, in die Grünenthal 150 Millionen Mark eingezahlt hatte. Die Gesellschaft sollte die Rentenansprüche der Opfer regeln, damit waren sämtliche persönliche Forderungen gegen Grünenthal ausgeschlossen. Die Geschädigten kämpften jedoch weiter.
So gewannen Conterganopfer 2009 einen Rechtsstreit gegen die Unternehmerfamilie Wirtz, der die Grünenthal GmbH, die Dalli-Gruppe sowie die Parfümerietochter Mäurer & Wirtz gehören. Der Bund Contergangeschädigter und Grünenthalopfer (BCG) durfte nach dem Urteil wieder zum Boykott der Firmen aufrufen. Er beziffert den durch Contergan entstandenen Gesamtschaden auf acht Milliarden Euro. Die Opfer fordern eine Verdreifachung der sogenannten Conterganrente von 1100 Euro, die ihnen seit 2008 zusteht, sowie eine Kapitalentschädigung von einer Million Euro pro Fall im Durchschnitt.
Im April dieses Jahres wurde die erste Contergan-Klage gegen die Bundesrepublik in Bonn abgewiesen. Der 49-jährige Kläger, ein Rechtsanwalt, verlangte einen symbolischen Schadenersatz von 5001 Euro, da der Staat ein Arzneimittelgesetz zu spät erlassen und so gegen europäisches Recht verstoßen habe. Der Anwalt will Berufung einlegen und wenn nötig bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen.
Vom schwierigen Alltag der Geschädigten kündet ein aktuelles Urteil des Sozialgerichtes Aachen. Danach haben die Betroffenen keinen Anspruch auf Versorgung mit Zahnimplantaten durch die gesetzliche Krankenversicherung, auch wenn sie wegen ihrer Behinderung konventionellen Zahnersatz gar nicht handhaben können. Zur Lösung ihrer Probleme verwiesen die Richter die Geschädigten an den Staat.
Ein Lichtblick hingegen könnte das Projekt in Nordrhein-Westfalen sein, in dem sich die Geschädigten gegenseitig unterstützen, auch mit Hilfe mehrerer Arbeitsstellen in der Beratung. Das Netzwerk soll außerdem spezialisierte Therapeuten, Ärzte und Kliniken umfassen. Spätfolgen wie Hüftgelenksbeschwerden und chronische Schmerzen führten bereits dazu, dass einige Betroffene mangels anderer Alternativen mit 50 Jahren im Altersheim untergebracht wurden. Bundesweit gibt es nur zwei auf Thalidomid-Schäden spezialisierte Ärzte, während 2700 Geschädigte hier leben.
Der Wirkstoff Thalidomid ist in den USA inzwischen zur Behandlung von schwerer Lepra wieder zugelassen. In Deutschland wird das Mittel bei einer Krebs-Unterart, bei der sich Zellen des Immunsystems zu schnell teilen, von Ärzten eingesetzt – allerdings unter strengen Auflagen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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