Die ältere Dame kann sich kaum beruhigen. »Da stehen die alle rum und rühren keinen Finger, statt mal die nassen Bänke abzuwischen!« Die Rede ist von den Wärtern in der JVA Tegel, die ihre Aufgabe offensichtlich nicht darin sehen, den Gästen der Freiluft-Theateraufführung »Don Quijote« einen trockenen Platz zu bieten. Doch das Ungemach ist schnell vergessen: Mit Witz und Talent erobern die schauspielernden Gefangenen schnell die Herzen der Zuschauer.
Während die Premiere wegen Regens und Sturmböen kurz vor Schluss abgebrochen werden musste, klappte bei der zweiten Aufführung alles bestens: Die 20 Jungs vom Gefängnistheater aufBruch konnten sich voll in die Geschichte um den »Ritter von der traurigen Gestalt« hineinfallen lassen.
Denn dieser Don Quijote, den aufBruch-Regisseur Peter Atanassow in seiner zehnten Tegeler Produktion durch verschiedene Darsteller Gestalt annehmen lässt, ist den Inhaftierten ans Herz gewachsen, das merkt man. Sie haben ihn sich einverleibt und ihre Träume auf ihn projiziert, auf diesen lächerlichen und doch würdevollen Möchtegern-Ritter samt skeptischem Begleiter. Und in jeder Szene darf ihn auch der Zuschauer neu erleben: am Anfang als intellektuellen Fantasten mit arrogant hochgerecktem Kinn, später als stolzen dunklen Kämpfer ohne jede Chance oder als Idealist der wahren Liebe, immun gegen finanzielle und sexuelle Verlockungen. Und auch geschickt manipulierend, etwa wenn er den mürrisch berlinernden Sancho Panza nur mit der Aussicht auf einen Gouverneursposten zum Mitkommen überreden kann. Wenn jener sich dann von seinen Kumpels lässig mit dem Satz verabschiedet, »Hauptsache, ick komm hier mal raus«, hat das im Gefängnis eine tragikomische Doppelbedeutung.
Weniger gut funktionieren die philosophischen Einsprengsel, mit denen Atanassow das Stück gespickt hat: Brocken von Heiner Müller, Hölderlin und Beckett, die fremd und steif das sonst geschmeidige Spiel hemmen. Doch das macht der wunderbare Chor wett, der gleich zu Anfang »Flieger, grüß' mir die Sonne« singen darf. Oder der Erzähler, der die einzelnen Episoden gekonnt verbindet. Oder die gelungene Besetzung selbst kleinster Nebenrollen: Auch die Frauenrollen werden von männlichen Inhaftierten gespielt, und so darf einer eine tolle Bauchtanznummer hinlegen und ein anderer kess mit dem Helden flirten.
Das Publikum beklatscht jede Szene wie wild, und obwohl man den Gefangenen ansieht, wie gut ihnen diese Aufmerksamkeit tut, hat das ganze auch einen faden Beigeschmack – fast als würden Bürger Zootieren applaudieren.
Dennoch entfaltet die Version von Cervantes' Klassiker an diesem Ort eine besondere Wirkung. Und wenn am Ende die ganze Ritterhorde gegen die mechanisch sich drehenden Windmühlenflügel ankämpft, ist das auch eine Metapher für das Leben im Knast.
13.,15.7., 18 Uhr, JVA Tegel, Seidelstr. 39, Karten über Volksbühne, Tel. (030) 24 06 57 77, Anmeldung erforderlich
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/201957.gegen-windmuehlen.html