nd-aktuell.de / 30.07.2011 / Wissen / Seite 28

Gene, Sex und Altruismus

Vor 75 Jahren wurde der britische Biologe William Hamilton geboren

Martin Koch

Nicht nur Menschen, auch Tiere verhalten sich bisweilen uneigennützig. So geht etwa ein Erdmännchen, das in aufrechter Haltung den Wachdienst für die Gruppe übernimmt, das hohe Risiko ein, von einem Fressfeind zuerst entdeckt zu werden. Die extremsten Beispiele für tierischen Altruismus findet man jedoch in Insektenstaaten, deren Existenz schon Charles Darwin gehöriges Kopfzerbrechen bereitete. Denn dort gibt es sogenannte Arbeiterinnen, die auf eigene Nachkommen verzichten und stattdessen bei der Aufzucht ihrer (von derselben Königin abstammenden) Schwestern helfen.

Zur Erklärung von altruistischem Verhalten im Tierreich haben Biologen das Modell der Gruppenselektion entwickelt, welches in ausgeprägter Form besagt, dass Einzelwesen instinktiv im Interesse der Arterhaltung handeln. Dieses Modell hat jedoch eine große Schwachstelle: Wenn in einer Gruppe von Altruisten durch Genmutation egoistische Individuen entstehen, die nur am eigenen reproduktiven Vorteil interessiert sind, werden diese auf lange Sicht die Gruppe dominieren.

Es dauerte bis zum Jahr 1964, ehe der britische Evolutionsbiologe William D. Hamilton einen eleganten Ansatz fand, um altruistisches Verhalten ohne Gruppenselektion zu erklären. Er berücksichtigte bei einem Individuum nicht nur dessen Bemühen um eigenen Nachwuchs, sondern auch seinen Einsatz für Artgenossen, die teilweise die gleichen Erbanlagen in sich tragen. Rechnerisch ist es damit möglich, dass ein Tier, welches bei der Aufzucht von Verwandten hilft, mehr Kopien seiner Gene in die nächste Generation bringt als durch eigene Nachkommen. Genau das geschieht bei sozial lebenden Insekten. Denn dort sind wegen eines speziellen Vererbungsmodus die Arbeiterinnen mit ihren Schwestern zu 75 Prozent verwandt. Bei eigenem Nachwuchs betrüge die genetische Übereinstimmung nur 50 Prozent. Die Tatsache, dass altruistisches Verhalten im Tierreich gewöhnlich nicht auf »edlen« Motiven beruht, schließt freilich nicht aus, dass solche Motive namentlich bei Menschen eine tragende Rolle spielen können.

Vor 75 Jahren, am 1. August 1936, wurde William D. Hamilton in Kairo als Sohn eines Ingenieurs geboren. Er studierte Biologie an der Universität Cambridge und war von 1964 bis 1978 Dozent am Imperial College in London. Anschließend ging er in die USA und lehrte Evolutionsbiologie an der University of Michigan. 1980 wurde Hamilton in die Royal Society aufgenommen und 1984 von der Universität Oxford zum Professor für Zoologie ernannt. Er starb am 7. März 2000 an den Folgen einer Malariainfektion, die er sich bei einem Forschungsaufenthalt in Afrika zugezogen hatte.

Unter den Fragen, die Hamilton zeitlebens beschäftigten, war auch diese: Warum gibt es Sexualität? Nach herkömmlicher Auffassung erhöht die sexuelle Fortpflanzung die genetische Vielfalt der Organismen, was häufig dazu führt, dass bestimmte Varianten in einer sich verändernden Umwelt bessere Überlebenschancen besitzen. Allerdings macht sich dieser Vorteil erst auf lange Sicht bezahlt. Hamilton suchte deshalb nach einer zusätzlichen Erklärung, die der sexuellen Fortpflanzung auch einen kurzfristigen Vorteil beschert. Er fand sie in der Existenz von höchst wandlungsfähigen Parasiten, die ohne Sex das Wettrüsten mit anderen Lebewesen vermutlich längst für sich entschieden hätten. Weil die Organismen ihre Gene jedoch unentwegt neu mischen, haben es Parasiten schwerer, die Immunabwehr ihrer Wirte zu überlisten.