Schwerbehinderte Arbeitnehmer, die den Weg zu ihrer Arbeitsstelle nicht mehr bewältigen, gelten in der Regel als voll erwerbsgemindert. Kommt allerdings der Reha-Träger für die anfallenden Beförderungskosten zum Arbeitsplatz auf, kann eine Arbeit für den Beschäftigten weiter zumutbar sein, entschied das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg in Potsdam in einem kürzlich veröffentlichten Urteil.
Im verhandelten Rechtsstreit wollte eine schwer gehbehinderte Frau aus Berlin eine Erwerbsminderungsrente erhalten. Wegen ihrer Gehbehinderung könne sie nicht mehr zur Arbeit kommen. Die arbeitslose Frau bezieht Arbeitslosengeld II und hat zahlreiche Erkrankungen. Wegen starken Zigarettenkonsums und einer erblichen Veranlagung ist die Durchblutung ihrer Unterschenkel so stark eingeschränkt, dass sie nur noch 100 Meter am Stück gehen kann.
Laut ärztlichen Gutachten kann die Frau mit ihrem Grad der Behinderung von 60 aber mindestens sechs Stunden täglich noch leichte und vorwiegend sitzende Tätigkeiten ausführen. Der Rentenversicherungsträger lehnte daher den Erwerbsminderungsrentenantrag ab. Er sagte zu, bei Vorstellungsgesprächen oder bei einer neuen Stelle die Beförderungskosten zum Arbeitsplatz zu übernehmen.
Das LSG entschied, dass eine Voraussetzung für das Vorliegen einer Erwerbsfähigkeit zwar darin bestehe, dass Versicherte ihren Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß erreichen können. Dabei werde grundsätzlich die Fähigkeit vorausgesetzt, dass Versicherte viermal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Meter zu Fuß laufen und zweimal täglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können. Sind Versicherte unfähig, diese Wege zurückzulegen, liege in der Regel eine volle Erwerbsminderung vor.
Im konkreten Fall habe der Rentenversicherungsträger die Wegeunfähigkeit der Klägerin jedoch »aufgehoben«, indem er ihr die Übernahme notwendiger Beförderungskosten zu einem Vorstellungsgespräch oder einer neuen Stelle zusagte. Da die behinderte Frau auf diese Weise weiterhin dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen könne, habe sie keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente, entschied das Landessozialgericht Potsdam am 13. April 2011. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das LSG die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen. epd