nd-aktuell.de / 11.10.2011 / Kultur / Seite 36

Die Austreibung

BESATZUNGSPOLITIK

Rolf Badstübner

Exorcising Hitler« heißt das neue Buch von Frederick Taylor im Original. Der britische Historiker spricht von der »Austreibung« Hitlers, wenn er die Entnazifizierung meint. Die sieht er als einen langfristigen Prozess an, der mit mehreren Anläufen und Rückschlägen 20 Jahre nach Kriegsende einen »Heilungsprozess« einleitete und schließlich zur »Normalität« der Bundesrepublik im 21. Jahrhundert führte. Dies wiederum erachtet der Autor offenbar als eine Art zwangsläufigen Verlauf.

Taylor konzentriert sich vor allem darauf, das Scheitern und dann die »Rücknahme« der Entnazifizierung im westdeutschen »parlamentarisch-demokratischen Restaurationsstaat« sowie die sich anschließende »Schlafkur« als Durchgangsstadien zu begründen und zu beschreiben. Er vermittelt ein teilweise durchaus zutreffendes Bild von den allseits gehassten Deutschen, auf die der Krieg mit voller Wucht zurückschlug (Bombenkrieg, Vertreibung, Grausamkeiten der Sieger etc.), und die sich unter alliierter Besatzung mit Verhaftungs- und Bestrafungsaktionen sowie »Siegerjustiz« und schlimmer Nachkriegsnot konfrontiert sahen. Die übergroße Mehrheit der Deutschen empfand sich als Opfer von Hitler, von Krieg und Nachkrieg. Doch dann kommt »Hoffnung« auf – durch die Stuttgarter Rede von US-Außenminister Byrnes im September 1946, mit der Taylor den Bogen zur Bundesrepublik schlägt. Die alternative Entnazifizierungspraxis in der SBZ/DDR bleibt in diesem Buch außen vor.

Der Darstellung ist entgegen zu halten, dass das Deutschlandprojekt der Alliierten von 1945 nicht auf solch langfristige »Heilung«, wie von Taylor beschrieben, setzte. Die Entnazifizierung sollte sich vielmehr – wie auch von den deutschen Parteien mehrheitlich anvisiert – als Gegenwartsaufgabe mit gesellschaftspolitischen Umgestaltungen, Elitenwechsel und »Umerziehung« verbinden, was dann den Abschluss eines Friedensvertrages mit einem auf solche Weise veränderten Deutschland 1947/48 ermöglicht hätte. Wenn dies so nicht geschah, dann lag das vor allem an den katastrophalen Auswirkungen des Kalten Krieges und einem sich daraus ergebenden völlig anderen historischen Verlauf.

Fazit: Eine interessant geschriebene, eigenwillig akzentuierende Darstellung, die man ernst nehmen, die man aber zugleich durch das Prisma eines anderen Verständnisses von Entnazifizierung relativieren und korrigieren sollte.

Frederick Taylor: Zwischen Krieg und Frieden. Die Besetzung und Entnazifizierung Deutschlands 1944-1946. Berlin Verlag. 519 S., geb., 28 €