nd-aktuell.de / 22.07.2002 / Politik

Der große Knall von Neubrandenburg

Die führende Rolle der Partei oder: Ein OB, »seine« Stadtwerke und die Frage: Wer verfilzt denn da?

René Heilig
Egal wie die Geschäfte laufen, jemand verdient immer. Das gilt - so lehren aktuelle Vorgänge in Köln oder Wuppertal - auch in Kommunen. Neubrandenburg bekommt zwar keine Müllverbrennung, doch die Stadtwerke haben auch so einiges zu bieten. Sie kümmern sich um Strom, Wasser, Gas, um Nahverkehr und die elektronische Vernetzung der Bürger.
Vergangenen Mittwoch gegen 11 Uhr gab es einen großen Knall: Die lokale Presse war da, auch das NDR-Fernsehen wollte sehen, wie alles in sich zusammensackt. Nachdem sich der Staub gelegt hatte, fehlte jedoch nur der riesige Betonschornstein des stillgelegten Heizwerkes. Viele beobachteten das Geschehen vom Dach des Rathauses. In dem regiert ein Dr. Paul Krüger, CDU-Mann, und da er es immer wieder betont, wissen noch einige, dass er mal kurze Zeit Forschungsminister im Kohl-Kabinett war. Damals hatte er unnötigerweise Bodyguards, heute begleitet ihn sehr oft ein Rechtsanwalt. Was nicht bedeutet, dass alles in der knapp 73000-Einwohner- Stadt mit rechten Dingen zugeht. Beispiel Stadtwerke. Dass da in der Vergangenheit vieles »daneben« war, ist mit dem Skandal »Viertoretherme« angedeutet. Doch das war vor Krügers OB-Antritt und auch dem heutigen Geschäftsführer der Stadtwerke, Holger Hanson, ist dieses »krumme Ding« nicht anzulasten. Als er seinen Job - von Gesellschafter Stadt, also Krüger eingesetzt - antrat, rannte er als Saubermann herum. Sein Vorgänger hatte zwei Tage nach dem politischen Wachwechsel im Rathaus im Angesicht des OB, von Hanson, einem Staatsanwalt und zwei nicht identifizierbaren Herren zehn Minuten Zeit, den Stuhl zu räumen. Ganz fix wurden zugleich aus angeblichen sechs Millionen Mark Gewinn laut Hansons aktueller Rechnung 4,6 Millionen Euro Verlust. Im August beginnt der Prozess gegen Hansons Vorgänger. »Zenke hat viele Dinge ziemlich selbstherrlich geregelt, doch immerhin informierte er uns von den wichtigsten Entscheidungen«, mosert ein Mitglied des zwölfköpfigen Aufsichtsrates, der seinen Namen nicht nennen will, weil er eine Anzeige durch den zu beaufsichtigenden Geschäftsführer fürchtet. Kollegen am Aufsichtstisch haben sie schon am Hals, es reichte, dass einer der »Neubrandenburger Zeitung« ohne jede Andeutung von Interna sagte, eine von Zenkes Nachfolger Hansons gleichfalls selbstherrlich geregelte Sache werde ein »Nachspiel« haben. Jeder halbwegs Rechtskundige wundert sich, dass die Kripo so einen »Fall« anfasst. Aber: Die führende Rolle der Partei ist wieder allgegenwärtig in Neubrandenburg. Hier regiert die Angst und Krügers CDU hat immer Recht. Der OB ließ sich jüngst die Verschwiegenheit der Stadtwerke-Aufsichtsratsmitglieder per individueller »Verschwiegenheitserklärung« bestätigen. Der scheinbare Witz wäre vollständig, hätte er die Betroffenen mit IM »Strom« oder IM »Gas« zeichnen lassen. So kuschend, wie das Aufsichtsgremium sich derzeit unter der Regie Hansons darstellt, hätte sich sogar ein IM »Abwasser« gefunden. Um im bösen Bilde zu bleiben: IM »Kabelnetz« hätte eigentlich längst signalisieren müssen, dass da was im Busch ist. Jemand will reden. Hanson, der, wie behauptet wird, Mitarbeiterschreibtische durchwühlt und Telefone anzapft, würde ihn Verräter nennen.
Vor einigen Tagen war der PDS-Landtagsabgeordnete Torsten Koplin, der diesem Jemand zugehört hatte und einen gehörten Satz der Ortspresse weitererzählte, mit einer einstweiligen Verfügung bedroht worden. 250000 Euro oder sechs Monate Haft. Kein Pappenstiel. Statt vor dem Richter zu belegen, Kopelin sagt die Unwahrheit, zog Hanson zurück. Am Freitag bekam nun die Staatsanwaltschaft eine Anzeige von Kopelin. Der PDS-Mann vermutet Veruntreuung kommunalen Vermögens. Der Verdacht: Die Stadtwerke verzichten durch die Privatisierung eines Teilgeschäfts auf bislang eingefahrene Gewinne. Man mutmaßt, dass dem ersten gelungenen Ausgliederungsdeal weitere folgen sollen. Es geht um die Stadtwerke-Tochter Medianet KFA und die private Media-N, deren größter Anteilseigner die Stadt ist. Sie hält 34 Prozent. Ende 1991 übernahmen die Stadtwerke das städtische Kabelfernsehnetz mit der selbstbekundeten »strategischen Zielsetzung«, diese Kabelverknüpfung nicht nur für die Fernseh- und Rundfunkversorgung zu nutzen, sondern zu einem Super-Datenübermittlungssystem auszubauen. »1996 hatten die Stadtwerke in Neubrandenburg damit eines der modernsten Breitbandkabelnetze Europas realisiert.« Neben 63 digitalen TV- und zahlreichen Radioprogrammen können die Neubrandenburger munter das Internet nutzen. Die KFA, also an die Stadtwerke, stellten unter anderem die Technik, den Service, Hotline und Entstördienst. Media-N vermittelte Dank des schnellen Kabelnetzes der Stadtwerkstochter KFA als Provider nur die Weiterleitung ins weltweite Internet. Ab 1. Juli kommt die bislang in dem Verhältnis untergeordnete private Media-N richtig ins Geschäft, ohne ihre Funktion wirklich zu verändern. Das alles ist technisch wie vertraglich etwas verzwickt. Doch nicht für den Kunden, der merkt nur, dass er fortan nicht mehr an Netzbetreiber KFA zahlt, sondern nur noch an Media-N überweist. Die Summe bleibt gleich, nur das, was dann via Media-N bei der KFA ankommt, ist entschieden weniger als zuvor. Kopelins Taschenrechner sagt: Die kommunalen Stadtwerke verzichten auf 146868,24Euro. Was seltsam ist, wenn man zur gleichen Zeit die Tarife für den Nahverkehr erhöhen muss, um kostendeckend zu wirtschaften. Zudem sitzt die Stadt durch »spektakuläre Einbrüche der Gewerbesteuer und Ausfälle der Einkommensteuer« seit 2001 auf einem Fehlbetrag von über fünf Millionen Euro. »Strengste Sparsamkeit und Konsolidierung« wird im aktuellen Haushaltsplan angemahnt. Weitere »Kleinigkeiten« machen stutzig. Jeder im Geschäft weiß, dass Kundennamen und Adressen wie Goldstaub sind - in der Masse enorm lukrativ. Um die drei Millionen Euro ist der wert, meinen Experten. Kann man diese indirekte Kapitaleinlage der Stadtwerke bei Media-N noch als geringfügig betrachten? Wer in Neubrandenburg ein Häuschen baut, verpflichtet sich, Kabeldienste von der Stadt zu beziehen. Das eingerechnet lässt sich der Kundenkreis der »Interneter« von rund 1720 (Stand Ende April) mühelos auf bis zu 5000 hochrechnen. Für den Ausbau des Kabelnetzes hat die Stadt laut Wirtschaftsplan 2002 rund 22 Prozent der Gesamtinvestitionen eingeplant - knapp 13 Millionen Euro, die ausschließlich für den nun privatisierten Internet-Teil gebraucht werden sollen. Wer hat davon welchen Gewinn und was sagt der Aufsichtsrat dazu? In hektisch formulieren Antworten (nach den darin enthalten Daten wurde die seit einem Jahr tätige Geschäftsleitung »seit dem 15. 08. 2002 bestellt«) auf ND-Nachfragen behauptet Hanson, er habe »regelmäßig und umfassend die Gesellschafterin und den Aufsichtsrat über alle wesentlichen Vorkommnisse...unterrichtet«. Über den KFA-Media-N-Deal weiß der Aufsichtsrat nichts. Den hat Stadtwerke Geschäftsführer Hanson ganz alleine mit dem KFA-Geschäftsführer Hanson geregelt. Und dabei auch noch gleich ein paar Leute gefeuert, die er für suspekt hält. Nachdem Kopelins Rechnung zu nachvollziehbar wurde, weil die örtliche Presse darüber berichtete, setzte eine Leserbriefaktion ein. Da wurde Kopelin von einem »Privatmann«, einst selbst bei der KFA und heute als »Finanzer« bei der Stadtwerke-Mutter, attackiert. Nur leicht modifiziert meldete sich seine Mitarbeiterin als Leserin zu Wort. Ein Hans-Joachim Memmler lobt den Vertrag als »kluge unternehmerische Entscheidung« und betont, dass die Freisetzung von sieben Mitarbeitern »zirka 200000 Euro« Einsparung bedeutet. Neubrandenburg hat fast 20 Prozent Arbeitslosigkeit, besagter Memmler jedoch einen Professorenposten bei der Fachhochschule. Zudem steht Memmler dem Finanzausschuss des Kommunalparlaments als Vize vor. In seiner CDU-Fraktion hat er einen Chef namens Michael Nötzel. Der empörte sich gleichfalls, weil ein innovatives Unternehmen einen wirtschaftlichen Schaden nehmen könnte. Nötzel meint die offenbar begünstigte Media-N. Er ist deren Geschäftsführer. Hat Kopelin da etwas den CDU-Filz gelüftet? Auch OB Krüger (Wahlslogan: »Krüger - einer von uns, der mitzieht«) meldete sich. Er dementierte in seinem Stadtanzeiger nicht direkt, erweckte jedoch den Anschein, als sei alles in Ordnung. Überdies machte er im fünften seiner acht Erklärungspunkte eigentlich zurecht den Aufsichtsrat für die Kontrolle verantwortlich. Doch dessen Mitglieder wissen ja nicht einmal, wen ihnen Krüger da als Geschäftsführer ins Stadtwerkenest gelegt hat. Nach eigener Aussage ist er ein »gestandener Geschäftsmann«. Eine von ND mehrmals erbetene Kurzbiografie gab er nicht heraus. Im Telefonbuch steht unter seinem Namen »Chartertours«. Das ist eine Bootsvermietung in Neubrandenburg und Potsdam. Eine Quelle behauptet, Hanson hätte als lokaler Treuhandmann die NAGEMA zum Ende gebracht. Vor der Breuel-Anstellung soll er als Unternehmensberater bei Heilbronn gewirkt haben. Sicher ist jedoch: Hanson war Krügers Wahlkämpfer Nummer eins. Und wer einmal so verantwortliche Arbeit geleistet hat, der wird nach dem Erfolg des Kandidaten mit neuen höheren Weihen bedacht. Siehe Stadtwerke- und weitere Geschäftsführerposten. Im Wahlkampf pappten überall Plakate mit Krügers Gesicht und ziemlich langweiligen Sprüchen, von wegen der und kein anderer. Die zum Erstaunen vieler durchaus finanzstarke Krüger-Kampagne wurde von der Riedelwerbung veranstaltet. Schauen wir mal auf die Internetseite der CDU-eigenen Mittelständischen Vereinigung. Dort lesen wir, dass eine Anette Riedel Vorsitzende ist. Nicht nur, dass ihre dienstliche Telefonnummer dieselbe wie die von Riedelwerbung GmbH ist, nein es gibt sogar noch einen kleinen Werbelink zu »riedelwerbung, Werbung, Design, Grafik«. Wer nachforscht, berührt eine Agentur namens »Halle 10«, die mit - würde sich der Gedanke nicht verbieten trivialspirituellen - Sprüchen auftritt: »Die einfachen Dinge überzeugen uns nicht mehr und die Simplizität mancher Tatsachen scheint uns verdächtig zu sein«. Das stimmt. Dabei ist es so simpel, dass die CDU-Wahlkampfmaschine »Riedelwerbung« und »Halle 10« nach Aussage einer Mitarbeiterin »ein großer Komplex« sind. Wer wohl ist beauftragt, CDU-Landeschef Rehberg in den Ministerpräsidentenstuhl von Schwerin zu werben? Richtig, die »Halle 10, Agentur für Publizität GmbH«, deren Neubrandenburger Sitz mit hohem Zaun und Kameras umgeben ist, als ob dort Schwarzgeldkontenlisten liegen würden. »Riedelwerbung« ist engagiert für die Ostmecklenburger Flugzeugwerke des Herrn Stinnes, der dem CSU-Kanzlerkandidat Stoiber zum ersten Wahlkampfauftritt im Osten verhalf. Was das noch mit den Stadtwerken zu tun hat? Viel, denn die haben ein neues »Outfit«. Es wurde »auf Grund eines Markenstreites« notwendig. Wen störte das alte Logo? Wollten vielleicht irgendwelche »Neustädter Schuhwichser« - was verständlich wäre - nicht in die Nähe zu den Neubrandenburger Stadtwerken gerückt werden? Der Aufsichtsrat, der ja angeblich »über alle wesentlichen Vorkommnisse sowie die Lage der Gesellschaft« (Hanson) unterrichtet wurde, hat abermals keine Ahnung. Dort kursieren nur Gerüchte, mal werden 100000, mal 170000 Euro als »Outfit«-Honorar genannt, das die »Riedelwerbung einstreicht. Andere Werbeagenturen, die vertraglich pro forma ebenfalls mit den Stadtwerken verbunden sind, können sich an keine Ausschreibung zur neu.sw-Kampagne erinnern. Um Auskunft gebeten, welche der genannten Summen stimme, schrieb Hanson: »Die von Ihnen zitierten Gerüchte über die Höhe der Aufwendungen können wir nicht bestätigen.« Etwas nicht zu bestätigen, heißt nicht, es durch Tatsachen zu dementieren.