nd-aktuell.de / 19.12.2011 / Politik / Seite 6

Eine Art Geschäftsmodell

Verbraucherschützerin Lina Ehrig kritisiert Anwaltskanzleien und Bundesregierung / Lina Ehrig ist Referentin für Telekommunikation, Post und Medien beim Verbraucherzentrale Bundesverband

nd: Welche Summen stehen bei Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen im Internet typischerweise im Raum? Und wie gehen die Betroffenen mit den Zahlungsaufforderungen um?
Ehrig: Die Summen hängen vom Streitwert ab, und die Streitwerte sind relativ hoch. Nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz wird eine Kostenerstattung angesetzt, die abhängig ist vom Streitwert - und der wird in der Regel relativ hoch angesetzt: im Normalfall um die 10 000 Euro beispielsweise pro Lied. Die Anwaltskosten liegen dann so zwischen 500 und 1500 Euro. Solche Abmahnungen erfolgen meistens mit identischem Wortlaut. Es gibt Kanzleien, die sich darauf spezialisiert haben. Man muss schon sagen, dass das eine Art Geschäftsmodell ist. Die Verbraucher sind als juristische Laien meistens völlig überfordert und eingeschüchtert, weil in diesen Schreiben dargelegt wird, was sie eigentlich an Rechtsanwaltskosten und Schadensersatz zahlen müssten. Stattdessen wird ihnen ein Vergleich in Form eines Pauschalbetrages angeboten, wo die Summe dann etwas geringer ist.

Es soll auch Fälle gegeben haben, wo Leute abgemahnt wurden, die gar keinen Internetzugang haben. Haben Sie davon Kenntnis?
Nein. Aber es gibt nicht nur sehr viele Kanzleien, die darauf spezialisiert sind, Abmahnungen zu verschicken. Es gibt auch Trittbrettfahrer, die übers Adressbuch gehen und einfach so Abmahnungen verschicken.

Nun ist ja aber schon gerichtsbekannt, dass es bei der Ermittlung von IP-Adressen Probleme geben kann, unter anderem weil Seitenaufrufe nicht sekundengenau protokolliert werden können. Warum überprüfen die Gerichte nicht, wie solche IP-Adressen ermittelt werden und ob das wirklich wasserdicht ist?
Weil die massenweise Auskunftsersuchen bekommen und für eine genaue Prüfung wahrscheinlich die Kapazitäten fehlen. Die Rechteinhaber müssen darlegen, dass alles korrekt ist. Aber die Gerichte können das nicht selber überprüfen, sondern sie können eben nur in Frage stellen.

Wie verhalten sich Bundesregierung und Bundestag?
Für die Urheberrechtsabmahnungen gab es bereits einen Lösungsversuch, nämlich eine Deckelung der Rechtsanwaltskosten auf 100 Euro. Diese Regelung kam 2008 ins Gesetz. Doch sie findet quasi nie Anwendung, weil man mehr oder weniger leicht argumentieren kann, dass sie in dem jeweiligen Fall nicht zutrifft. Sobald man sich im Internet bewegt, ist es ein Leichtes, das Urheberrecht zu verletzen, weil man ständig mit Inhalten in Berührung kommt, die urheberrechtlich geschützt sind. Deshalb sind wir der Auffassung, dass die Abmahnkosten verhältnismäßig sein müssen. Da ist die Bundesregierung bislang untätig gewesen. Ich bin mittlerweile skeptisch, ob das überhaupt noch etwas wird in dieser Legislaturperiode. Im Bundestag gibt es von den Oppositionsparteien Versuche, diese Missstände zu regeln. Aber deren Gesetzesinitiativen haben natürlich in der Regel keinen Erfolg.

Interview: Ralf Hutter