nd: Die EU will die Lebensmittelabfälle bis 2020 halbieren. Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) möchte die Bürger zu einem maßvollen Umgang mit Lebensmitteln anhalten. Werden nicht genug Lebensmittel produziert, um alle satt zu machen?
Thurn: Durchaus. Bereits heute verschärft unsere Wegwerfgesellschaft die Hungerkrisen etwa in Somalia, weil dadurch die Preise auf den Getreidebörsen steigen. Langfristig gesehen wird es noch schlimmer, weil die Ressourcen nicht für die wachsende Weltbevölkerung reichen werden. In 20, 30 Jahren haben wir nur noch begrenzte Ackerflächen zur Verfügung.
Für die Unternehmen selbst ist es offenbar rentabel, Überschuss für die Mülltonne zu produzieren?
Manche Betriebe werfen bis zu 20 Prozent der Tagesproduktion weg!
Ist der Wettbewerbsdruck das eigentliche Problem?
Er trägt dazu bei. Der Handel will nicht, dass ein Kunde, der seinen Lieblingsjoghurt abends um 22 Uhr nicht mehr kriegt, zur Konkurrenz geht. Deswegen gibt es in der modernen Innenstadt bis Ladenschluss immer alles. Es ist noch keine zwei Generationen her, dass wir fast gar nichts weggeworfen haben. Dass sich die Situation komplett gewandelt hat, hat mit den industriellen Erfolgen und Verteilungsprozessen zu tun.
Lassen sich die mächtigen Konzerne zum Umdenken bewegen?
Ja, wenn man in der Logik des marktwirtschaftlichen Systems bleibt. Es reicht schon, das Wegwerfen so teuer zu machen, dass es sich nicht mehr lohnt. Dann wird sich die Wirtschaft schon andere Lösungen überlegen. Das Entsorgen ist heutzutage offenbar billiger als die Ware zu verschenken. Und: Je mehr Verbraucher sich zu Kooperativen verbinden, die direkte Lieferverträge mit Bauern schließen, desto stärker wird das auch die Supermärkte verändern. Es reicht schon, wenn den Großen zehn Prozent des Marktes entgleiten. Auch über Restemärkte könnte das Wegwerfen eingedämmt werden, dadurch würden auch Lebensmittel billiger. Denn für das Wegwerfen zahlt der Kunde mit.
Und die hohen Lebensmittelpreise sind ja ein Grund für die Hungerkatastrophe in Ostafrika.
So ist es. Die Menschen in der Dritten Welt können sich bestimmte Grundnahrungsmittel wie Brot und Weizen, die sie oft importierten müssen, nicht mehr leisten. Wir werden das sinnlose Wegwerfen nicht auf null reduzieren können, aber die Welternährungsorganisation geht davon aus, dass wir den Lebensmittelmüll zumindest halbieren können. Für Preisschübe sorgt auch, dass wir ganz viel Getreide zu Biosprit verarbeiten oder an unsere Tiere verfüttern. Aber da steckt wenigstens eine Nutzung dahinter.
Der Globalisierungskritiker Michel Chossudovsky empfiehlt eine Weltgetreidebank. Ist das real?
Eine Weltgetreidebank könnte Preisschwankungen abfangen. Natürlich ist damit der Hunger noch nicht beseitigt, aber der Tod von Hunderttausenden könnte unterbunden werden. Das größte Problem sind die unheimlichen Spekulation mit Lebensmitteln an den Börsen. Ein Verbot des Handels mit Optionsscheinen würde schon mal die schlimmsten Ausschläge beseitigen.
Fragen: Olaf Neumann
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/214373.schmeissen-wir-zu-viel-weg.html