Soeben hat er in Uruguay inszeniert, wo er als Junge sechs Jahre lebte - bevor seine Eltern, kurz vorm Militärputsch 1973, wieder zurückkehrten nach Deutschland. »Antigone« in Montevideo - wieder arbeitete Volker Lösch nicht nur mit Schauspielern, sondern, wenn man es so sagen will, mit Volkes Stimme. Er ist mit seiner Regie zum Chorführer all des Zorns, der Ohnmacht und der Unverstelltheit geworden, mit der sozial Randständige brüllen, jammern, fordern: Obdachlose, Prostituierte, Ausländer, türkische Frauen, Arbeitslose. Ob »Hamlet«, Hauptmanns »Weber«, Büchners »Woyzeck«, van Triers »Dogville«, Weiss’ »Marat« oder Döblins »Berlin Alexanderplatz«: Lösch reißt jeden Dramatiker aus seiner überlieferten Plastizität und presst ihn zu einem mitunter kabarettistisch grellen Welt-Bild.
Lösch - 1963 in Worms geboren, Seefahrer, Schauspieler in Weimar, Göttingen, Zürich - kann nicht Theater machen, ohne ständig am Zustand einer Gegenwart zu verzweifeln, die mit Schein und Scheinen, mit ekelhafter Buntheit ihr hartes Wesen verhüllt. Dieser Regisseur dreht die Spirale seines aufreizend deutlichen Zeigetheaters daher immer weiter. Ein drastischer Witz schlägt verzweifelt Schneisen durchs spätbourgeoise Kulturgelände von Konformismus und Konsens.
Dresden, Berlins Schaubühne, Hamburgs Thalia Theater: Lösch durchpflügt die Subventionsebenen, er ist Mitglied der Leitung am Staatsschauspiel Stuttgart; und zu Zeiten der aktiven Proteste gegen den Bahnhofsbau fungierte er auf der Straße als Chorleiter der aufgebrachten Wutbürger.
Diesem Regisseur geht es darum, mittels greller Theaterbilder eine Wut aufzuheizen, die vielleicht in vielen Gemütern hockt, ängstlich, mutlos, allein, und die nun, in den aufjaulenden Farcen des Volker Lösch, einen Moment Gleichgesinntheit findet. Sein Theater, solidarisch mit Gassen und Gossen, ist ein Abgesandter unseres Unterbewusstseins, das just dort hassen und toben möchte, wo Vernunft, Müdigkeit und Altersmilde andauernd zur Mäßigung treiben. Energie, nah bei Lessing und dieses Preis-Namens sehr würdig. Hans-Dieter Schütt
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/233399.wutkuenstler.html