nd-aktuell.de / 24.09.2012 / Kultur / Seite 16

Wallraff: »Jetzt überschwemmen!«

Jan Helbig

Ein Ruf wider das Gebot zu politischer Korrektheit, nachdem die französische Satirezeitung »Charlie Hebdo« gezeichnete Mohammmed-Spötteleien veröffentlicht hatte. Ein fahrlässiger Ruf? Wallraff sieht das nicht so. Er sieht in der organisierten »Übersättigung mit sogenannten blasphemischen Karikaturen und Texten« eine »Stärkung von Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit«: Denn es treibe die Droher, Einschüchterer und mordlüsternen Akteure in die Ermüdung. Jenen »läppischen Filmausschnitt«, der derzeit so hochgekocht und dessen Verbreitung oder Stopp angesichts zahlreicher Opfer zum Prüfstein für Sensibilität wurde, »gab es schon seit Monaten im Internet«. Die Unruhen vermeintlich religiös Verletzter seien nicht zufällig im Umfeld des 11. September ausgelöst worden.

Gotteslästerung. Christen gingen da durch ihre sehr eigene Schule. Monty Python ließ im Film »Das Leben des Brian« Jesus am Kreuz fröhliche Lieder singen. Herbert Achternbusch machte im Film »Das Gespenst« Jesus zum schlurfigen Kellner. Martin Scorsese drehte »Die letzte Versuchung Christi«, Jesus befreit sich vom Kreuz, nimmt Maria Magdalena zur Frau. Gerhard Haderers Comic-Buch »Das Leben Jesu« zeichnete das Porträt eines bekifften Outlaws. Das Stück »Corpus Christi« von Terence McNally in Köln zeigte Jesus und Jünger als alkoholisierte Schwule. Walter Moers zeichnete Jesus als »kleines Arschloch«. Der war auch schon AIDS-Kranker, hing als Frau oben ohne am Kreuz.

Jedes Beispiel zog Strafanzeigen nach sich, Demonstrationen, auch Gewalt, sogar Bombendrohungen. Und ebenfalls immer: Anklagen versandeten. Freibriefe also für fragwürdigen Geltungsdrang? Mag sein. Aber von Motiven darf nie direkt auf Wirkungen geschlossen werden. Ging es bei gotteslästerlicher Kunst nicht stets auch um berechtigte Attacken gegen eine plötzliche religiöse Sorge, die im gelebten Alltag pure Heuchelei verdeckt?

Freiheit ohne Risiko funktioniert nicht. »Sich jetzt«, so Wallraff, »wegzuducken« vor Fanatikern, die nicht jene Mehrheit bilden, wie sie von Medien suggeriert wird, »das ist der falsche Weg!«