nd-aktuell.de / 04.03.1991 / Kommentare / Seite 2

1RSONALIEN Kein Herdentier

Es geschah in einer Nacht- und Nebelaktion, berichtete uns gestern Mutter Tanja Braumann in Berlin. Zehn Polizisten und drei Feldjäger umstellten das Haus, drangen mit einem Dietrich in die Wohnung ein und nahmen ihn mit – Sascha Braumann, den ersten Totalverweigerer Ostberlins. Noch zu DDR-Zeiten war der jetzt 19jährige für die NVA gemustert worden. Im November 1990 erhielt er seinen Einberufungsbefehl für den Januar 1991. In die Bundeswehr. Der schon immer „antimilitaristisch Eingestellte“ (Mutter) verweigert sich jeglichem Kriegsdienst mit oder ohne Waffe. Krankgeschrieben und irgendwo untergetaucht, versuchte er zu Jahresbeginn den Konsequenzen zu entkommen.

SASCHA BRAUMANN: Totalverweigerer wehrt sich

„Wir haben die Pflicht, unsere Menschlichkeit zu verteidigen, gegen die Versuche, eine Schafherde aus uns zu machen. Tun wir es nicht, sind wir es schon,“- schrieb der junge Steinmetz aus dem Essener Arrest. Dort versuche man, seine Gesinnung zu brechen, ihn beispielsweise zum Anlegen der Uniform zu bewegen. Sascha Braumann bleibt tapfer: Bevor er sich zu etwas zwingen läßt, was seinem Innersten widerspricht, will er die Geschichte durchstehen. Ihm zur Seite stehen unter anderem Leute der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär e.v. und der Westberliner Rechtsanwalt Udo Grönheit. Da keine Musterungsüberprüfung und keine nach westlichem Recht übliche Anhörung erfolgte, ist seiner Auffassung nach die DDR-Musterung nicht rechtsgültig und die Einberufung nichtig. Sascha Braumann wartet auf seinen Prozeß.

CORINNA FRICKE