nd-aktuell.de / 13.08.2001 / Politik

Die »Kursk«, ein Orden, Helden und ein Heiliger

Trauer: Vor einem Jahr erreichte die Nachricht von der U-Boot-Katastrophe das Festland

René Heilig
Gestern trauerte man in Russland um die 118 U-Boot-Fahrer, die vor einem Jahr beim Untergang der »Kursk« ums Leben kamen. Im Stützpunkt Widjajewo legten Angehörige Kränze nieder, in Moskau und Petersburg gab es Gottesdienste.
Heute vor einem Jahr schlenderte die 26-jährige Natascha Loginowa zum Hauptplatz von Widjajewo. An der Bushaltestelle der Garnisonsstadt wollte sie ihren Sergej erwarten. Er kam nicht, weil der Bus nicht kam. Der Bus kam nicht, weil die »Kursk« nicht kam. Die »Kursk« kam nicht, weil das modernste Atom-U-Boot der russischen Marine nach zwei harten Explosionen 108 Meter tief auf dem Grund der Barentssee lag. Weil sie im sechsten Monat schwanger war, traute sich zunächst keine der Seemannsfrauen, die schon wussten, dass sie vermutlich Witwen waren, Natascha die Wahrheit zu sagen.
Noch immer sind die Ursachen, die 118 Mann an Bord umbrachten, unklar. Vieles spricht dafür, dass ein »Tolstjak«-Torpedo, den die Seeleute nur »Brummer« nennen, undicht geworden war. Der Treibstoff, der zum Teil aus Wasserstoffperoxid besteht, entzündete sich vermutlich. Dann ging alles schnell. Nur in der Sektion IX, wo auch das Notluk ist, haben einige Seeleute länger gelebt. »Es ist dunkel hier drin, aber ich versuche, blind zu schreiben. Scheint, dass wir keine Chance haben - 10 bis 20 Prozent«, kritzelte Dimitri Kolesnikow in den letzten Gruß an seine Frau Olga. Olga hat den Brief erhalten, die Presse veröffentlichte ihn.
Ein weiterer Brief, den Taucher bei der Öffnung des Luks fanden, stammt von Leutnant Raschid Arjapow. Was er schrieb, durfte bislang noch nicht einmal dessen Frau lesen. Stimmen die Gerüchte über den Inhalt, dann hofften allein in der neunten Sektion 23 Matrosen auf Hilfe von oben. Vergebens. Was die russische Marine an technischen Rettungsmitteln aufgeboten hatte, war ebenso untauglich wie die Hinhaltetaktik und die Optimismus-Lügen der Moskauer Regierung. Präsident Wladimir Putin blieb im Schwarzmeer-Urlaub und spielte Tennis.
Das war dessen erste große PR-Schlappe, denn kein Mensch in Russland hatte für eine solche Ignoranz Verständnis. Fortan versuchte man in Putins Umgebung, den Präsidenten in die Offensive zu bringen. Der erklärte die Hebung der »Kursk« zur Chefsache, versicherte, dass man die Ursachen schonungslos offenlege und sich um die Hinterbliebenen kümmere. Doch auch das geschah wieder in einer Weise, die nicht einmal mit dem Begriff bürokratisch umschrieben werden kann. Während man Witwen eine Entschädigung von 20000 Dollar anbot, bekamen all jene Frauen, die jahrelang ohne Trauschein mit einem »Kursk«-Matrosen zusammen lebten, nichts. So auch Natascha Loginowa. Vor Gericht musste sie die monatliche Zahlung von umgerechnet 15 Dollar für die inzwischen geborene Tochter Stanislawa erstreiten. Auch fünf weitere Kinder, gezeugt von Männern der »Kursk«, werden ihre Väter nie kennen lernen.
Am Sonnabend hat ein Team russischer und norwegischer Taucher die Schneid-arbeiten an den Sektionen fünf, sieben und acht der »Kursk« beendet. Sie waren notwendig, um Stahltrossen zur Hebung anzubringen. Unangetastet bleibt die sechste Sektion, in der sich die beiden abgeschalteten Atomreaktoren befinden.

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Am Freitag zeichnete Putin den »Kursk«-Kommandanten Gennadi Ljachin postum als »Helden Russlands« aus. Für alle anderen Opfer besorgte das verbal die Zeitung »Moskowski Komsomolez«. Sie schrieb am Samstag: »Sie sind die ersten Helden einer neuen Zeit, von deren Taten man nichts zu erzählen braucht. Ein einziges Wort reicht aus: "Kursk". An den Häusern, in denen sie wohnten, hängen Gedenktafeln. Vereine werden nach ihnen benannt. Ihre Eltern besuchen Schulen...« Die Zeitung erklärt auch, was neu ist an dem altbekanntem Ritual: Für diese Helden habe man »nicht, wie in den 30er Jahren, die richtigen Lebensläufe und großen Taten erfinden müssen...« Damals wäre es übrigens auch undenkbar gewesen, dass man zerstörten Marinestolz klerikal aufpäppelt. Seit Monatsbeginn ist die russisch-orthodoxe Kirche um einen Heiligen reicher: Flottenadmiral Fjodor Uschakow. Der hat Ende des 18. Jahrhunderts die Schwarzmeerflotte gegründet und türkische Invasoren vertrieben. An die Heiligsprechung knüpften die Kirchenfürsten allerdings die Erwartung, dass man die Wodka-Marke »Fürst Uschakow« vom Markt nimmt.