Die schlechteste Medaillenbilanz seit 25 Jahren vor Augen, lagen sich die Verantwortlichen des Deutschen Turner-Bundes plötzlich doch noch freudestrahlend in den Armen. Aus der Patsche geholfen hatte ihnen jemand, der vorher als Titelfavorit keineswegs gehandelt wurde: Ralf Büchner. Der 24jährige Vizeeuropameister am Sprung, seinem eigentlichen Paradegerät, ging als letzter Turner der WM von Indianapolis ans Reck. 9,787 Punkte hatte der chinesische Titelverteidiger Li Chunyang vorgelegt. 9,725 war die Marke für Büchner, um eine Medaille zu gewinnen. Dafür mußte alles stimmen, insbesondere der Abgang. „Das ganz große Ding würde sich beim Stand entscheiden“, meinte er nüchtern.
Seine schwierigen Flugteile turnte er souverän, dann holte er mit eleganten Riesenfelgen mächtig Schwung und wirbelte den gestreckten Doppelsalto mit ganzer Drehung durch die Luft. Sicher, als ob nichts dabei wäre, landete er auf der Matte. Kein Wackler, keine Fußkorrektur. Danach das bange Warten - 9,787. Damit war Büchner zusammen mit dem Chinesen Weltmeister am „Königsgerät“.
Ralf Büchner, in der Hierarchie nach Andreas Wecker und Sylvio Kroll eigentlich nur die Nummer drei in der Riege, verdankt seine Goldmedaille der medizinischen Abteilung im DTB. Das Team um den auf Fußverletzungen spezialisierten Orthopäden Dr. Heinz Loh-1 rer in Frankfurt (Main) ermöglichte ihm, der bereits die WM 1987 und 1989 aufgrund von Verletzungen verpaßte, nach dem Riß beider Außenbänder im rechten Fuß am ersten Trainingstag Ende August trotzdepi noch den WM-Start. DTB-Sportdirektor Eduard Friedrich erinnert sich noch mit Schrecken: „Ich habe ihn noch vor Augen, als er mit einer Trage aus der Halle gebracht wurde.“
Die Behandlung des Fußgelenkes durch eine spezielle Bandage, so daß die Bänder gar nicht beansprucht werden, ermöglichte, daß Büchner schmerzfrei turnen konnte. „Nein, auch bei der Landung vom Reck habe ich nichts gespürt.“
Büchner wechselte zusammen mit seinem Trainer Reinhard Rückriehm nach Hannove, nachdem er in Potsdam als ehemaliger Leutnant der DDR-Volksarmee bei der
Bundeswehr „keine finanzielle Perspektive“ mehr sah. Der familiäre Umzug fiel schwer, doch er sah keine andere Wahl: „Mit der Goldmedaille habe ich meinen Potsdamer Freunden ein Abschieds- und den Hannoveranern ein Einstiegsgeschenk gemacht.“
Eduard Friedrich, aufgrund der Vorwürfe gegen Cheftrainer Klaus Milbradt nicht gut auf Andreas Wecker zu sprechen, sieht die WM als Zwischenstation Richtung Olympia. „Die Vorbereitung auf Barcelona wird konsequent und wesentlich härter erfolgen als auf die WM, und zwar mit Cheftrainer Klaus Milbradt“, gibt sich Friedrich entschlossen.
Finals: Männer, Sprung: 1. You Ok
Youl (Südkorea) 9,700, 2. Scherbo (UdSSR) 9,699, 3. Aihara (Japan) 9,631, 4. Kroll (Cottbus) 9,618. Barren: 1. Li Jing 9,862, 2. Korobschinski (UdSSR) 9,825, 3. Guo Linyao (China) 9,812, ...5. Kroll 9,662, 6. Franke (Halle) je 9,587. Reck: 1. Büchner (Hannover), Li Chunyang (China) je 9,787, 3. Scherbo 9,775, ...6. Kroll 9,637.
Frauen, Stufenbarren: 1. Boginskaja (UdSSR) 9,962 Punkte, 2. Guzu (UdSSR) 9,950, 3. Okino (USA) 9,900. Boden: 1. Bontas, Chusowitina (UdSSR) je 9,962, 3. Zmeskal (USA) 9,950.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/324773.ein-abschieds-und-einstiegsgeschenk.html