nd-aktuell.de / 30.11.1991 / Brandenburg / Seite 7

Mit roten Baretten für das Wohl des Volkes

Der freundliche Weihnachtsmann in der Schaufensterdekoration des Modesalons R. Kubis und Co in der Husemannstraße 16 läßt nur Rückschlüsse auf Vorgänge in der letzten Dezemberdekade zu, nicht aber auf ein politisches Ereignis, das heute im Bezirksamt Prenzlauer Berg über die Bühne gehen wird. Dennoch haben beide Orte etwas gemeinsam: Der Geschäftsführer des Modesalons R. Kubis und Co ist Norbert Kubis, und er ist gleichzeitig Vorsitzender der Bundesdeutschen Volkspartei (BDVP), die heute in besagtem Amt ihren Programmparteitag durchführt.

Doch die ganze Angelegenheit hat eine Vorgeschichte: Bei den letzten Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen zog Norbert Kubis als Abgeordneter der CDU ins Parlament. Mit dem, was seine Partei an Wahlversprechen abgab, wollte er sich durchaus identifizieren. Als engagierter Mittelständler konnte auch er sich für die phantastischen Visionen des Elmar Pieroth vom raschen Aufblühen der Ostberliner Landschaft

begeistern. Doch es kam alles ein klein wenig anders. Viele Betriebe sind zum Sterben verdammt, Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und- Kriminalität greifen um sich, der Ostberliner Mittelstand droht an den wahnsinnigen Gewerbemieten und den komplizierten Startbedingungen zu zerbrechen. Grund für ihn und seinen Parteifreund Peer Kehlenbrink, am 12. November der Fraktion den Rücken zu kehren.

Doch wie das politische Vakuum ausfüllen, das die real existierenden Parteien in dieser wirren Zeit hinterlassen? Für Norbert Kubis und Peer Kehlenbrink war klar: Dieses krisengeschüttelte Land braucht eine neue Partei, die sich den wirklichen Problemen der Menschen annimmt. Und so gründeten sie gemeinsam in den kühlen Novembertagen mit vier Gleichgesinnten die BDVP. Am 24. November waren es schon 15 Mitglieder, als Norbert Kubis zum Vorsitzenden und Peer Kehlenbrink zum Schatzmeister gewählt wurden. Daß die Ausstrahlung weit über

den Prenzlauer Berg hinausreicht, ist schon daran zu erkennen, daß auch ein Mitglied aus dem Bundesgebiet dabei war. Und heute zum Programmparteitag könnten es schon an die 20 sein. „Wir sind da, wo das Volk ist. Und wo ist das Volk? Das Volk ist überall.“ Klare Worte des Vorsitzenden und ganz in diesem Sinne auch die Programmatik: Soziale Gleichstellung aller Deutschen, Förderung des deutschen Nationalbewußtseins und Pflege der deutschen Traditionen.

Weitere Forderungen: Die Treuhand muß stärker parlamentarisch kontrolliert, Auslandshilfen sollten heruntergeschraubt, Weiterbildungszentren errichtet und der soziale Wohnungsbau vorangetrieben werden, die Mieten sollen bezahlbar bleiben, der Paragraph 218 muß weg, ebenso die Wehrpflicht, ja zum Asylrecht für politisch Verfolgte, aber kein Wahlrecht für Ausländer; mehr Polizei und größere Sicherheit für Berlin.

Um zu zeigen, daß es Norbert Kubis in dieser Sache ernst ist, hat

er einen Schutzgarde-Verein ins Leben gerufen, der den Bürgern in S- und U-Bahnen die Sicherheit geben soll, die ihnen dank mieser Senatspolitik verlorengegangen ist. Sollten also demnächst freundliche junge Herren mit roten Baretten in den Zügen Aufmerksamkeit erregen, so wissen wir: Es sind unser aller Freunde. Als ich dey Parteivorsitzenden fragte, ob auch junge türkische Berliner seiner Schutztruppe beitreten können, zuckte er doch leicht zusammen und verneinte. Zumindest vorerst solle das edle Werk der Selbsthilfe eine deutsche Angelegenheit bleiben.

Eine neue Partei hat es schwer, aus den Eierschalen zu kriechen, auch wenn die Forderungen noch so volkstümlich sind. Doch Norbert Kubis.der 39jährige, sympathische Vorsitzende, ist optimistisch. Demnächst will man mit FDP und DSU in Prenzlauer Berg fraktionieren. Ein neues Sternchen am Parteien^ himmel ist somit unaufhaltsam im Vormarsch.