Das 16. war das bisher bedeutendste Turnturnier der Meister in Cottbus. Nicht nur, weil sich speziell bei den Männern ein qualitativ außergewöhnlich gutes Feld vorstellte, auch nicht, weil es erstmals Preisgelder gab, sondern, weil hier die einzige Möglichkeit für die deutschen Teilnehmer bestand, sich für die Weltmeisterschaften zu qualifizieren. Die finden bereits in einem knappen Monat in Paris statt. Weitere vier Wochen später rufen bereits die Europameisterschaften die Männer nach Budapest, und auch die olympischen Wettbewerbe (Juli/August) liegen in diesem Jahr ungewöhnlich früh. „Eine zeitlich so komplizierte Situation haben wir erstmalig zu meistern“, umriß der Hallenser Männer-Auswahltrainer Klaus Milbradt die Schwierigkeiten. „Obwohl die Kadersituation insgesamt gut ist, zwingen der eigenwillige Austragungsmodus der WM, bei der es erstmals keinen Mehrkampf gibt, und die dichte zeitliche Folge der Höhepunkte zu einer Zersplitterung der Kräfte.“
Nur drei Turner wollten alle drei Höhepunkte angehen. Für zwei von ihnen hat sich das jetzt schon zerschlagen. Andreas Wecker (SC Berlin) konnte wegen einer schweren Angina, Sven Tippelt (Leipzig/Iserlohn) wegen einer Fußverletzung in Cottbus nicht starten. Der Dritte ist Mike Beckmann (Gevelsberg), der noch die Chance eines Dreifachstarts hat. Weltmeister Ralph Büchner (Hannover), Ex-Weltmeister Sylvio Kroll (Cottbus), Mario Franke (Halle), Wecker, Tippelt - sie alle konzentrieren sich über die Europameisterschaften auf Olympia.
Einen anderen Weg gehen die beiden Hallenser Jens Milbradt und Maik Krahberg, Jan-Peter Nikiferow (SC Berlin) und Maik Belle (SC Cottbus), die sich zusammen mit Mike Beckmann in der WM-Qualifikation durchsetzten. Das hohe Niveau dieses Wettkampfes wurde vor allem geprägt von den lange verletzt gewesenen Jens Milbradt (Pauschenpferd) und Maik Belle (Pauschenpferd und Barren) sowie von Jan-Peter Nikiferow am Boden. Bei den Frauen gibt es mit
Peggy Wünsche und Gabi Weller (beide Bergisch-Gladbach) vorerst nur zwei nominierte Turnerinnen.
Im Mehrkampf war der einheimische Sylvio Kroll auf dem besten Wege, sich ganz vorn „einzuquartieren“, büßte aber durch einen Sturz vom Reck alle Chancen auf seinen vierten Gesamterfolg ein. Als Fünfter war er dennoch nicht unzufrieden. „Ich brauche immer einen langen Anlauf, um zum Höhepunkt voll da zu sein, deshalb bin ich mit meinen Leistungen hier durchaus zufrieden. Mit 26 Jahren muß man die Belastung ohnehin anders einteilen.“ Die sportliche Seite seines Lebens bedrücke ihn viel weniger als die berufliche. „Die Ungewißheit, ob ich mein Studium an der Außenstelle der Leipziger Sporthochschule abschließen kann oder nicht, ist natürlich nicht gerade förderlich für die Vorbereitung auf die Höhepunkte“, sagte der erfolgreichste deutsche Turner.
Den Ausgang an der Spitze dominierten zwei Weltmeister aus der GUS. Valeri Belenki, Weltmeister am Reck, steuerte den Mehrkampfsieg und damit die Siegprämie von 5 000 DM an, doch an seinem letzten Gerät, dem Pauschenpferd, mußte er sich einen „Abwurf“ gefallen lassen. Er hielt sich dann aber mit drei Siegen in den Gerätef inals schadlos. So war der Weg frei für seinen Mannschaftskameraden Alex Woropajew, der, gerade 19 geworden, die große Tradition, russischer Turnkunst fortsetzen könnte.
Den Höhepunkt setzte allerdings der Slowene Loize Kolmann, der am Reck die Weltneuheit Salto über die Stange mit ganzer Schraube kreierte. Glanzvoll auch der Barrenabgang des Ungarn Zoltan Supola, der einen Doppelsalto unter den Holmen hindurch in den Stand turnte.
Bei den. Frauen stellte die Vizeweltmeisterin im Sprung, die Ungarin Henrietta Onodi, alle anderen klar in den Schatten. Zum nie gefährdeten Mehrkampfsieg gewann die 17jährige auch am Boden, wo sie die Höchstnote 10 für ihre mit Paprika gewürzte Kür erhielt, und beim Sprung.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/350765.guter-start-in-eine-hochkomprimierte-saison.html