nd-aktuell.de / 15.05.2003 / Wirtschaft und Umwelt
Forscher, die zerstören müssen
IMA-Institut bestand Prüfung durch Industrie
Hendrik Lasch, Dresden
Innovation gilt als Schlüssel für den Wirtschaftsaufschwung Ost. Dresdner Materialforscher zeigen, wie es geht. Sie prüfen Flugzeuge und Kunsthüften, bis es kracht. Und die Industrie ist zufrieden.
Der Flugzeugrumpf reicht von Wand zu Wand - obwohl Cockpit und Leitwerk fehlen. Auch die Flügel stoßen fast an die Mauern. Und als ob es damit nicht genug wäre, wird die Airbus-Hülle von Hunderten gelber Hydraulikzylindern eingezwängt. Die drücken, biegen und pressen von allen Seiten auf das Flugzeug ein. Zunächst wird der Rumpf von innen gedehnt, dann die Tragfläche um fast drei Meter nach oben geknautscht.
Solche Belastungen muss die Passagiermaschine bei jedem Flug über sich ergehen lassen, erklärt Thomas Fleischer von der IMA Materialforschung und Anwendungstechnik GmbH. Bevor es jedoch so weit ist, wird in der Dresdner Forschungseinrichtung geprüft, ob die Flugzeughüllen den enormen Kräften tatsächlich standhalten. Zwei Jahre steht der Korpus des Airbus 340-600 auf dem Prüfstand. Ein Härtetest im Zeitraffer: Die Bleche und Rippen werden in dieser Zeit genauso belastet wie in 25 Jahren Flugbetrieb.
Die Materialprüfung für die Flugzeugindustrie hat Tradition in Dresden: Als 1952 in der DDR mit der Entwicklung eines strahlgetriebenen Flugzeuges begonnen wurde, entstand hier eine Testhalle für Bruchversuche. Die Kompetenzen wurden auch nach Einstellung der Arbeiten an der Passagiermaschine 152 im Jahr 1961 weiterentwickelt. Am »Institut für Leichtbau« testeten 700 Mitarbeiter nun Karosserien, Maschinenteile und neue Materialien. Dabei wurde nicht nur physischer Druck ausgeübt: Als der Pkw Wartburg 311 nach Finnland exportiert werden sollte, musste er zuvor in Dresden in die Kältekammer.
Die langjährige Erfahrung beschert den Dresdner Materialforschern auch unter veränderten wirtschaftlichen Bedingungen beachtlichen Erfolg. Vor zehn Jahren wurde das Institut per Management-Buy-out privatisiert. Heute erwirtschaften die noch 107 IMA-Beschäftigten einen Jahresumsatz von 13 Millionen Euro. Getestet wird in den Hallen am Dresdner Flughafen Klotzsche fast alles - von Tragflächen über ICE-Wagenkörper und Chemiefasern bis zu künstlichen Hüftgelenken.
Das Unternehmen ist zudem Dienstleister für andere mittelständische Firmen und Paradebeispiel für die These, wonach besonders Innovation in Ostdeutschland für wirtschaftliche Entwicklung sorgen kann. Während die industrienahe Forschung nach 1989 vielerorts zum Erliegen kam, wird heute wieder in 2000 ostdeutschen Betrieben ständig geforscht und entwickelt. Die Bilanz kann sich vielerorts sehen lassen. Bei IMA kommen 75 Prozent aller Aufträge direkt von der Industrie, sagt der langjährige Geschäftsführer Christian Wegerdt. In vielen Forschungsinstituten seien es nur 15 Prozent.
Vorteilhaft, so IMA-Chef Wilhelm Hanel, ist die enge Kooperation mit der Technischen Universität Dresden. Drei Viertel der IMA-Mitarbeiter sind TU-Absolventen, allein dieses Jahr wurden sieben neue Mitarbeiter eingestellt. »Wir haben keine Probleme mit Ingenieurnachwuchs«, sagt Hanel. Zudem wirken auch spezifisch ostdeutsche Fertigkeiten weiter, sagt Abteilungsleiter Fleischer: »Wir sind sehr flexibel und haben gelernt zu kooperieren.«
Das gilt besonders für einen neuen Großauftrag: Materialprüfungen am Riesenjet Airbus A 380. Die Prüfungen und ein dafür notwendiger Hallenneubau werden gemeinsam mit einem Institut aus Bayern durchgeführt, das früher alle Airbusse getestet hat. Im schärfer gewordenen europäischen Wettbewerb müssten Unternehmen, die bisher Konkurrenten waren, zusammenrücken, sagt Hanel. »Sonst hätten wir keine Chance gehabt.«
Die Tests am neuen Riesenvogel werden im November beginnen - wieder im Zeitraffer: In 45 Sekunden werden bei IMA die Belastungen eines Fluges von Frankfurt (Main) nach München simuliert; ein Flug nach Singapur dauert in der Testhalle nur eine Dreiviertelstunde. Gequetscht und gepresst wird so lange, bis das Material müde wird, Risse in den Hüllen auftreten und die Spanten brechen. Schließlich sollen die Konstrukteure der Maschinen wissen, wo die Grenzen liegen - gemäß dem Credo von Firmenchef Hanel: »Wir prüfen zerstörend. Die Belastung wird so lange erhöht, bis die Teile kaputtgehen.«
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/35421.forscher-die-zerstoeren-muessen.html