nd-aktuell.de / 27.06.2003 / Kommentare

Fehlentwicklungen werden provoziert

Almut Gerlach

Die Gesundheitsreform ist ein Teil der »großen Reformen« in diesem Land. Als niedergelassene Zahnärztin muss ich mir Gedanken machen, welche Auswirkungen diese Veränderungen in meinem Leben und bei meiner Arbeit haben. Die Zahlheilkunde wird voraussichtlich insgesamt im Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenkassenversicherung (GKV) bleiben. Füllungstherapie und chirurgische Maßnahmen werden weiter erbracht werden können. Jedoch wird es Unterschiede in den nachfolgenden Behandlungsschritten geben. Zahnfarbene Füllungen im Seitenzahnbereich müssen weiterhin durch eine Mehrkostenvereinbarung als Wunschversorgung mitbezahlt werden. Ist ein Backenzahn nur noch durch eine Wurzelbehandlung zu erhalten, muss man abwägen, ob die Prognose für ihn günstig ist. Bei schlechten Voraussetzungen muss der Patient entscheiden, ob er ihn behalten will. Die Krankenkasse bezahlt dies nicht. Die Zahnsteinentfernung darf nur noch einmal im Jahr auf Krankenkassenkosten erbracht werden. Somit muss die Vorbehandlung zu einer Zahnfleischbehandlung noch stärker aus eigener Tasche bezahlt werden. Die Diskussion über den Zahnersatz sind noch nicht beendet, nach den Plänen der Bundesregierung sollen sie in der GKV bleiben. Die von Rot-Grün geplanten Reformeingriffe im Bereich Zahnersatz bringen zum Teil eine Entlastung für die Krankenkassen und die Patienten, da die Honorarkosten durchschnittlich um 10 Prozent abgesenkt werden sollen. Jedoch wird es sich hier auch nur um die Grundversorgung handeln. Hochwertigen, komfortablen und ästhetisch schönen Zahnersatz wird es nur noch gegen eine erhöhte Eigenbeteiligung geben. Alles in allem müssen sich die Patienten auf eine stärkere Eigenbeteiligung einrichten. Der Gesetzgeber will damit an die höhere Eigenverantwortung des Einzelnen um seine Gesundheit appellieren. So genannten »Schönheits- oder Wunschbehandlungen« soll nun endgültig ein Riegel vorgeschoben werden. Leider werden hier verstärkt Fehlentwicklungen provoziert. Einige werden sich mehr leisten können, andere werden gänzlich außen vor bleiben. Das soziale Umfeld spielt hierbei eine große Rolle. Es wird Gesellschaftsschichten geben, denen der Zugang zu Gesundheitsinformationen und deren Umsetzung nicht so leicht fällt. Besonderes Augenmerk sollten wir auf unsere Kinder legen. Damit meine ich nicht nur unsere »Kleinen«, sondern auch gerade die Jugendlichen, die oft in der Pubertät höchst motiviert werden sollten. Hier gibt uns der Gesetzgeber wenigstens noch einige Mittel in die Hand, wie Mundhygieneinstruktionen, Ernährungslenkung, Fluoridmaßnahmen und Versiegelungen. Diese können unseren Nachwuchs vor späteren aufwändigen Behandlungen bewahren. Als selbstständige Zahnärztin bin ich sehr besorgt, ob meine Investitionen, die Kredite und Verbindlichkeiten weiterhin bedient werden können. Bei der Wahl meines Berufes stand patriotisch die Hilfe und Sorge für und um den Menschen im Vordergrund. Doch ein betriebswirtschaftliches Arbeiten ermöglicht erst den Erhalt der Praxis. »Samariter-Leistungen« kann ich mir nicht mehr leisten. Es sollen angemessene Gehälter für meine Mitarbeiter gezahlt werden. Die laufenden Kosten erhöhen sich wie im privaten Leben ständig. Die Materialien und die Ausstattung werden teurer. Reparaturen, die nach elf Jahren Arbeit häufiger werden, müssen hoch bezahlt werden. Einen neuen Kredit wage ich nicht mehr aufzunehmen. Auch die psychische Belastung steigt ständig. Die Bürokratie wächst. Die Aufklärung des Einzelnen über das Maß an Notwendigem und Möglichem wird wieder mehr Zeit in Anspruch nehmen. Wenn man ehrliche und gute Arbeit leisten will, spürt das auch der Patient. Eins bleibt mir jedoch wichtig, die Gesundheit meiner Familie, der Zusammenhalt untereinander und das Vertrauen meiner Patienten. Almut Gerlach hat von 1980 - 85 an der Humboldt-Universität Zahnmedizin studiert, seit 1992 ist sie niedergelassene Zahnärztin in Berlin-Hellersdorf.