nd-aktuell.de / 09.12.1992 / Kultur / Seite 9

Othello ist Elektriker

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In letzter Zeit sitze ich mehr in den kleinen Theatern mit den großen Geldsorgen als in den renommierten Berliner Häusern. Es zieht mich zu denen, die ganz dicht an ihrem Publikum sind und mit dem Mut der Verzweiflung - „wer weiß, wie lange es uns noch gibt?“ - immer neue Inszenierungen herausbringen. Hella Len mit ihren Amateuren im TIK Proskauer Straße hatte jüngst erstaunte Angehörige der Künstler-Familie Kollo in ihrem aus einer Flohkiste hervorgegangenen Etablissement, denn sie wagte es, Willi Kollos Vierpersonenstück „Die hellgelben Handschuhe“ auf die Bühne zu bringen. Ein Stück aus den fünfziger Jahren.

Es ist mit seiner raffinierteinfachen Grundkonstruktion schön griffig, macht ein bißchen Glücksrad-Spaß, indem Zitate großer Dichter, vor allem Shakespeares, verwendet werden. Die Zuschauer können stolz einen Rest von Schulwissen wiederentdecken. Doch es ist nicht ohne

Tücke, denn Kollo war ja auch Musiker, seine Texte müssen gesungen werden, streckenweise in den höchsten Tönen.

Die TIK-Prinzipalin flößte ihren Darstellern das nötige Selbstvertrauen ein, und so schmettert die Biologiestudentin Bonnie Bernburg die Lieder der lockeren Lilian umgehemmt und ungequetscht. Es entsteht gewollte Komik durch den persiflierten Operettenstil, wenn sie ihr Verwechslungsspielchen mit Holger treibt. Der ist im Stück ein Dichter und im Leben ein Ingenieur namens Jens-Olaf Kruggel. Er steht zum ersten Mal auf der Bühne. Doch er bleibt nicht hinter dem TIKerfahrenen Elektriker Thorsten Schmidt zurück, den die Kollos am liebsten gleich engagiert hätten. Der fühlt sich als Othello, als betrogener Liebhaber, den die Damen im Publikum gern selber trösten würden, so herrlich bestürzt kann er sein und auch so wunderbar wütend über seine scheinbar treulose Bettina.

Heidi Szuwalski ist im Alltagsberuf Sekretärin, auch sie trällert und tänzelt vergnüglich über die kleine Bühne, ihr Petticoat wippt bei den eleganten Tänzen, die von Ballettmeisterin Eva Stahlberg einstudiert wurden und sich wie Arabesken durch die verschlungene Handlung ziehen.

Am Piano sitzt Olaf Schmalz, der die Ohrwurm-Melodien so klug begleitet, daß die stimmlich wenig erfahrenen Schauspieler nicht an die Wand gespielt werden. Zur Zeit laufen im TIK drei Stücke, außer dem Kollo Dario Fos „Nackter Mann im Frack“ und „Arme Teufel“ von Jürgen Groß und Brigitte Werner. Seit 1. Advent spielen und singen wieder Kinder für Kinder. In dem Märchen „Kasper und der Löwe Poldi“ stehen Sechs- bis Sechzehnjährige auf der Bühne, Hella Lens künstlerischer Nachwuchs, für den sie, weiß der Himmel, wo und wie, immer neue Entdeckungen macht.