nd-aktuell.de / 09.01.1993 / / Seite 13

Achtung des anderen bei eigener Prinzipienfestigkeit

Gleich zu Anfang sei gesagt: Die Biographie Boenheims von Thomas Michael Ruprecht ist ganz trefflich gelungen. Und der so urteilt, hat nicht nur selbst Biographien verfaßt, ist nicht nur ein Liebhaber von Biographien, von denen er (einschließlich Autobiographien) an 2 500 gelesen und gesammelt hat, er hat auch Boenheim, der genau zwischen dem Geburtsjahr seines Vaters und dem seinigen zur Welt kam, als guten Bekannten seiner Eltern in der Weimarer Zeit sowie mit dessen Frau Margarete als guten Freund der eigenen Familie in der DDR gekannt.

Boenheim war ein vorzüglicher, zeitweise glänzend verdienender, Arzt, ein tüchtiger Forscher als Mediziner und Medizinhistoriker und ein großartiger Mensch. Seit seinem Eintritt in den Sparta-

cus-Bund war er dem Kommunismus ergeben, ob als frühes Mitglied der KPD und im späteren Alter der SED oder als Parteiloser während der meisten Zeit der Weimarer Republik und in den langen Jahren der Emigration. Als Arzt und Forscher weltbekannt, als Kommunist - was so selten - weltoffen, schon im ersten Weltkrieg wegen seiner pazifistischen Gesinnung degradiert und kriegsrechtlich verfolgt, am 28. Februar 1933 zeitweise in Untersuchungshaft genommen, litt er natürlich in der Deutschen Demokratischen Republik unter den Verdächtigungen der Intelligenz - als er 70 Jahre alt wurde, wurde ihm, drei Tage vor seinem Tode, der Vaterländische Verdienstorden in Silber überreicht: „in Anerkennung und Würdigung seiner besonderen Verdienste auf wissen-

schaftlichem Gebiet“, so dem lebenslangen Kommunisten, der Ernst Thälmann während des KPD-Verbots 1923/24 zehn Tage Zuflucht in seiner Wohnung gegeben, in dessen Haus Wilhelm Pieck in der Weimarer Zeit verkehrt hatte, der Hunderte von armen Mitbürgern als Arzt umsonst behandelt hatte, der 1956 als Leiter einer deutsch-deutschen Delegation des Friedensrates anläßlich einer Tagung des Weltfriedensrates von Chruschtschow empfangen wurde, ja schon 1927 Mitglied der deutschen, unter Leitung meines Vaters stehenden Delegation der Intelligenz zur Zehnjahresfeier der Oktoberrevolution, 1919 Mitglied der Räteregierung in Bayern war!

Aber man muß auch sehen, welch politisches Familienglück Boenheim hatte. Seine

Mutter Henriette war der SPD ergeben und wählte später KPD, und vor allem war einflußreich auf ihn deren. Bruder, sein Onkel Hugo Haase, führender Sozialdemokrat, mit Ebert von 1913 bis 1915 Parteivorsitzender, 1917 bis 1919 Mitbegründer und Vorsitzender der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, am 7 November 1919 als Opfer eines Attentats verstorben.

Und was für Freunde hatte er! Beginnend mit Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller bis zu dem wunderbaren Kreis der deutschen Glanzuniversität für Geisteswissenschaften nach dem zweiten Weltkrieg, Leipzig, mit Fritz Behrens und Werner Krauss, Hans Mayer und Boenheims gutem Freund Ernst Bloch.

Schließen wir mit dem Charakterurteil eines Kollegen und Freundes, seines Oberarztes an dem „Medizinisch-Poliklinischen Institut“ der Universität Leipzig, Rolf Köhler („Leipziger Volkszeitung“, 17 Januar 1960): „Großzügigkeit, starkes Verantwortungsgefühl, Achtung des anderen bei eigener Prinzipienfestigkeit, Geduld gegenüber selbst konfusen Meinungen, Anerkennung fremder Leistung, Offenherzigkeit und eine freimütige Selbstkritik.“ Ja, Felix Boenheim war ein großartiger Mensch!

Thomas Michael Ruprecht: Felix Boenheim - Arzt, Politiker, Historiker. Wissenschaftliche Abhandlungen des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte, Band 7. Hildesheim 1992. 550 S., 85 Abb., Ln., 68 DM. JÜRGEN KUCZYNSKI