nd-aktuell.de / 18.08.2003 / Politik

Rundum ein »Supersommer«, urteilen Ostseeurlauber wie Einheimische

Notizen über eine Küstentour von A wie Ahrenshoop bis B wie Boltenhagen

Wolfgang Rex
Erst ab 23. August sind auf Fischland-Darß wieder Zimmer buchbar. Schon Anfang Juni gab es in Ahrenshoop kein einziges freies Bett, das Schild »Belegt« hing an den meisten Herbergen den ganzen Sommer über. Hoteliers und Ostseeurlauber beschreiben ihre Stimmung in diesem Jahr mit einem Wort: »Supersommer«. Ein Hotelbesitzer in Kühlungsborn meinte, dieser Sommer sorge für die nächsten fünf Jahre vor. Ein schöner Sommer im schönen Ambiente, das würde sich herumsprechen.
In der vorigen Woche, berichtet Hans Götze, Bürgermeister von Ahrenshoop, wurden die lokalen Kapazitätsgrenzen sogar überschritten. Da reisten auch Urlauber ohne Vorbuchung an, wie zu DDR-Zeiten mit der Hoffnung, irgendein Bett finde sich immer noch. Vor allem junge Leute bauten Zelte am Strand oder im Wald auf und wunderten sich, dass so etwas überhaupt nicht erlaubt ist.
An Wochenenden, an An- und Abreisetagen staut sich auf der Halbinsel die Blechlawine zuweilen von Wustrow bis Ahrenshoop und in den Abendstunden auch in entgegengesetzter Richtung. Vierspurige Autostraßen wird es trotzdem nicht geben, verspricht Bürgermeister Götze. Dafür wäre auf dem schmalen Land zwischen Dierhagen, Wustrow auf der einen und dem Bodden auf der anderen Seite auch gar kein Platz. Aber für Alternativen zum PKW-Verkehr wäre der Bürgermeister dankbar.
Zwischen Zingst am anderen Ende der Halbinsel und Barth auf dem Festland muss ohnehin eine neue Brücke gebaut werden. Da stünde eine dritte Spur für alternativen Verkehr auf der Wunschliste des Ahrenshooper Bürgermeisters. In Prerow existiert immer noch der Bahnhof der schon lange eingestellten Eisenbahn. Mit einer Bahn über die Brücke und zwei normalen statt der beiden jetzigen Behelfsspuren für Autos könnte Ahrenshoop von einem großen Teil des Durchgangsverkehrs nach Born, Prerow oder Zingst befreit werden.

Vom Kurhaus blieb nur eine Ruine

Zu einem anderen Problemfall äußert sich der Bürgermeister diplomatisch. Im vorigen Sommer schrieb der Ahrenshooper Schriftsteller Wolfgang Schreyer eine lange Erzählung über »Das Kurhaus«. Die Ruine ist der einzige Schandfleck an der Ahrenshooper Hauptstraße. Der Würfelbau aus DDR-Zeiten verfällt plan- und unplanmäßig. Eine große Hotelkette will an dieser Stelle ein großes Hotel bauen. Das zerstöre den Charakter des Ortes mit seinen Einfamilienhäusern und kleinen, gemütlichen Hotels, warnte Schreyer. Im benachbarten Zingst kann man einen ähnlichen Sündenfall besichtigen. In bester Lage steht ein viel zu großes Hotel mitten zwischen kleinen Häuschen. Das eine passt nicht zu den anderen.
Ein Jahr nach Schreyers Warnschrift steht es um die Ruine »Kurhaus« so wie im vorigen Jahr. Sie verfällt weiter. Das Grundstück wurde bereits 1991 von der Treuhand verkauft. Jetzt prüfen die Besitzer die Stellungnahmen der Bürger zum Bauvorhaben, erklärt der Bürgermeister. Er kann sich auch für das »Kurhaus« erwärmen. Am Dessauer Bauhaus schrieben Studenten sogar Diplomarbeiten zum Thema »Kurhaus Ahrenshoop«. Ergebnis: Dessen Architekten folgten auch Bauhaus-Traditionen. Trotzdem sagt der Bürgermeister: »An dieser Stelle wird ein Hotel gebaut, da stand schon immer das erste Haus am Platz.« Nur wie groß dieses »erste Haus« ausfällt, ist noch offen.

»Schloss am Meer« zu verkaufen?

Wer in Kühlungsborn Ost im Hotel »Schloss am Meer« bucht, der freut sich nach der Anreise über die außergewöhnliche Aussicht. Das kann man wörtlich nehmen. Das Haus, am Anfang des vorigen Jahrhunderts gebaut, liegt nicht nur direkt am Strand. Ein großer Erker ragt sogar in die Strandregion hinein. Vom Frühstückstisch hat der Hotelgast freie Aussicht auf Meer und Strand bis nach drüben, bis Kühlungsborn West.
Andreas Krechlok, ein Ostdeutscher, hat das Haus mit einem Kompagnon bei der Treuhand erst gepachtet, dann gekauft, jetzt ist er der alleinige Inhaber. Im vorigen Jahr wurde Krechlok von einem Gast, einem Hamburger Arzt, angerufen, warum er sein Hotel verkaufen wolle. Der Hotelbesitzer selbst wusste nichts von solchen Absichten. Eine weltbekannte Auktions- und Immobilienfirma hatte dem Arzt ein achtseitiges Kaufangebot für das »Schloss am Meer« mit detaillierten Lageplänen gefaxt.
Krechlok erkennt zwar seine Handschrift auf einem der Blätter, er selbst hat die Unterlagen aber nicht der Immobilienfirma gegeben. An Details ist zu erkennen, dass ein anderes Blatt des vermeintlichen Kaufangebots sogar aus dem Jahr 1994 stammt, also nicht einmal aktuell ist. Das Vier-Sterne-Hotel »Schloss am Meer« ist womöglich nicht das luxuriöseste am Ort, wohl aber das mit der allerbesten Lage.
Auch von anderen Übernahmeversuchen erzählt Andreas Krechlok. Im vorigen Jahr seien regelmäßig vornehm gekleidete Herren »mit feinen Manieren« bei ihm erschienen und hätten ihm mal moderat, mal aggressiv Kaufabsichten vorgetragen. Eine Bank drängte ihn ebenfalls zum Verkauf. Krechlok will nicht. Einer seiner westdeutschen Ratgeber habe ihm vorgeschlagen, die Öffentlichkeit zu suchen. Das sei gegen derart unwillkommene Übernahmeabsichten der beste Schutz, meinte sein Berater. Jetzt ist der »Spiegel« im Haus, das Norddeutsche Fernsehen und die »Ostseezeitung« berichteten über Kaufwütige und Widerspruch am Ostrand von Kühlungsborn.
Nach dem »Schloss am Meer« baute Krechlok die »Villa Rheingold« aus. In der zweiten Reihe gelegen, aber immer noch mit Meerblick. In Archiven fand der Hotelier, dass die Villa nicht zufällig »Rheingold« heißt. Ein Musikdirektor aus Bayreuth hat sich das Haus bauen lassen. Im verkleinerten Maßstab folgt es den Umrissen der »Villa Wahnfried«. Der Mann aus Kühlungsborn hofft auf Wagnerianer, die ihm in der Nebensaison die Häuser füllen. Er fuhr im vorigen Jahr nach Chemnitz, wo gerade Wagner inszeniert wurde, er sprach mit Festspielbesuchern in Bayreuth. Eine Antwort: »Der östlichste Ort an dem ich bisher gewesen bin, das war Goslar, und das soll auch so bleiben.« Womöglich kommt in diesem Herbst einer aus dem aktuellen Bayreuth-Olymp nach Kühlungsborn. Dann, so hofft Krechlok, folgen vielleicht auch die anderen aus der Wagner-Gemeinde.
Ein ganz anderes Schicksal hatte das benachbarte Hansa-Haus. Das verfiel, bis es nur noch Ruine war. In den Verfallszeiten sprach ein hartnäckiger Rentner bei der Treuhand vor. Der erinnerte sich, in der Vorkriegszeit in diesem Haus in Kühlungsborn mehrmals billigen Urlaub verbracht zu haben. Weil der Mann sich nicht abweisen ließ, »richtig verbissen war der«, suchten Beamte in den Archiven nach einem Besitzer. Dort fand man, dass der verstorbene Inhaber ein Waisenkind war. Dieser Mann hatte verfügt, dass das Hansa-Haus nur noch für soziale Zwecke zu nutzen ist. Der Berliner Stadtbezirk Reinickendorf ließ das Haus sanieren. Jetzt ist es eine Begegnungsstätte für Sozialarbeiter und preiswertes Urlaubsziel für kinderreiche Familien. »Wer organisiert solchen Familien heutzutage noch einen Urlaub, den sie auch bezahlen können«, sagt Nachbar Krechlok anerkennend. Anfangs habe es ein paar Berührungsängste zwischen den Leuten im »Schloss am Meer« und denen im »Hansa-Haus« gegeben. Inzwischen sei man bei einem gutnachbarschaftlichen Verhältnis angekommen.

Noch ein Schloss, diesmal mit schönem Park

Manche Orte wirken aus der Ferne so anziehend, dass man sich immer mal wieder vornimmt, sie genauer anzusehen. Oft scheitern solche Pläne an Zeitmangel oder am unbequemen Umweg. Nur vier Kilometer vor Boltenhagen führen links von der Hauptstraße alte Lindenalleen zum Barockschloss Bothmer. Aus der Ferne ein romantischer Anblick. Wer näher heranfährt, trifft erst einmal auf einen Kassenwart. Erwachsene zahlen zwei Euro für den Rundgang durch den Park. Er ist sorgfältig gepflegt. Das Schloss ist verschlossen, das Innere des Backsteinbaus sieht eher nach Ruine aus. Ein bisschen wenig für zwei Euro Eintritt. Eine Führung durch das nichtsanierte Schloss würde noch einmal 1,50 Euro extra kosten, steht auf einem Eintrittszettel.
Auf diesem Zettel wird die aktuelle Lage aus Sicht der Besitzer erklärt. Die 1999 begonnene Sanierung des Schlosses sei wieder eingestellt worden. Die Stadt Klütz als früherer Eigentümer komme ihren Pflichten nicht nach. Den Besitzer stört laut Eintrittszettel der ans Grundstück angrenzende Sportplatz, »mit Laub- und Staubimmissionen in unmittelbarer Nähe zum Schloss«. Auf dem Sportplatz entsteht nicht nur Lärm, das Land fehlt dem Schlossbesitzer zum Parkplatzbau.
Herbert Perschk ist stellvertretender Bürgermeister des Städtchens Klütz, Ihm gehörte zu DDR-Zeiten und ein paar Jahre danach Schloss Bothmer. Perschk weist darauf hin, dass die Gemeinde das Dach sanieren ließ. Der neue Besitzer habe eines der ältesten Schlösser Mecklenburg-Vorpommerns mit Park für einen symbolischen Preis bekommen. Andere Lokalpolitiker bedauern, dass es mit Schloss Bothmer »fast gar nicht vorwärts geht«.
Vier Kilometer weiter, in Boltenhagen, streiten sich Urlauber um Parkplätze. Im Seeheilbad, so der amtliche Titel, stehen 8128 Gästebetten bereit. Zusätzlich reisen an schönen Tagen wie in diesen Sommermonaten tausende Tagestouristen aus Hamburg, Lübeck oder Schwerin an. Kurdirektor Dieter Dunkelmann will das Urlauberhoch nicht allein dem Supersommer zuschreiben. Die Seebäder in Mecklenburg-Vorpommern lägen nun mal am schöneren Teil der Ostseeküste, sagt der Kurdirektor mit Blick auf Schleswig-Holstein.
Außerdem konnten die ostdeutschen Bäder nicht die Fehler der Westdeutschen in den 70er Jahren begehen, meint Dunkelmann, »die wir vielleicht auch gemacht hätten«. Im Westen wurden damals Betonburgen hoch gezogen. Stattdessen restaurierten seit 1990 im Osten auswärtige und einheimische Käufer meist mit großer Sorgfalt die alten Villen und die kleinen Hotels.