Tagen Motzki heißen. Es gibt sie in nicht kleiner Zahl; ich kenne selbst jemand. Sie werden den Spott für ihren unschuldigen Namen tragen müssen, der übrigens slawischen (vor allem polnischen) Ursprungs ist, womit wir beim Thema wären.
Es ist schon verdreht, wenn ausgerechnet Friedhelm Motzki, der mit Sicherheit polnische Vorfahren in der zweiten oder dritten Generation hatte, die Sachsen und Anhaltiner belehren will, daß sie nur eine deutsche Abart sind. Wer als Motzki im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Als ich neulich in Bochum war, besuchte ich einen entfernten Verwandten, Kurt Piontek, einen braven Bürger, der mich beim Kaffeeplausch darüber aufklärte, daß die Ausländer schlechte Gene und Sitten ins Land bringen. Er war etwas beleidigt, als ich ihn daran erinnerte, daß er mit Nachnamen Freitag heißt, auf polnisch nämlich.
Im übrigen finde ich eins an dem Friedhelm Motzki sympathisch: Er sagt ganz offen, was er denkt. Er schluckt seine Vorurteile nicht hinunter und klatscht dann klammheimlich Beifall, wenn andere für ihn Gewalt üben. Wir wissen sofort, woran wir mit ihm sind.
Auch sonst muß ich gestehen, daß er keinen Haß in mir weckt. Er tut mir eher leid. Er sitzt da in seinem Kleinbürgerwohlstand und ist vergrätzt und verbittert. Er bellt wild, weil er sich bedroht fühlt, und sucht und findet Opfer, an denen er sein Unbehagen auslassen kann. Seine Ostverwandten zum Beispiel.
Was er an aggressiven Vorurteilen über die Ossis losläßt, trifft mich nicht. Die Schwächen, die er richtig an uns erkannt oder im Hörensagen erfaßt hat, die kenne ich selbst, und meine Erkenntnis wird nicht tiefer, wenn sie so maßlos überzogen dargestellt werden. Und was er dazu noch an unzutreffenden Vorurteilen übernommen hat, das wird auch durch noch häufigere Wiederholung nicht wahr. Es ist“ zutreffend, daß die DDR pleite, marode und abgewirtschaftet war, aber als Erklärung für den gegenwärtigen Zustand der Nation und der bedrohten Einkünfte von Herrn
machen, daß es noch weitere Ursachen für ; den drohenden
Kollaps gibt, die erst nach 1989 gewirkt haben und die die : Menschen im I Osten wie im
Westen langsam erkennen und I einzuordnen
wissen.
Im übrigen ! wirkt Motzki
wie ein wohlkalkuliertes Ablenkungsmanöver. Die Wut wird auf den wildgewordenen Kleinbürger in seiner Weddinger Eigentumswohnung gelenkt, der seinen Frust in grö-ßenwahnsinnigem Stammtischgebrüll abläßt, und der Kleinbürger ist außerdem nicht echt. Es ist eine Kunstfigur. Er ist wie ein Popanz, auf den wir eindreschen sollen, um dann befriedigt in den Fernsehsessel zurückzusinken, ein Bier zu köpfen und das kritische Politmagazin auszulassen.
Die wirklich gefährlichen Leute sind von ganz anderem Kaliber als Motzki. Die ziehen nicht laut über Ossis her. Im Gegenteil. Die wissen, daß ihnen von denen sogar Gefahr drohen kann, zum Beispiel handfeste Konkurrenz auf dem Markt. Sie wissen genau einzuschätzen, daß der Osten gegenüber dem saturierten Westen sehr wohl Chancen haben kann. Sie kalkulieren kühl. Sie kaufen zum Beispiel den drohenden Konkurrenten bei der Treuhand auf, werfen noch einige investitionsökonomische und beschäftigungspolitische Nebelkerzen und fahren dann den Betrieb gezielt in die Liquidation.
Diese Leute sind nicht nur für den Aufschwung Ost gefährlich, sie sind es auch für den Wohlstand des Westens. Jedes Unternehmen, dem der Zugang zur Sanierung oder zum Markt über Absprachen und Dumpingpreise verwehrt wird, setzt bei seiner Schließung Beschäftigte frei, vernichtet Kapital und belastet die Allgemeinheit West wie Ost, mit deren Steuern dann die sozialen Auffangmechanismen zur Verhütung des Schlimmsten bezahlt werden müssen. So sehen die aus, denen wir auf die Finger sehen müssen.
Motzki in seiner Blümchentapete soll sich ruhig ausmotzen. Da fühle ich mich nicht betroffen.
Der Autor ist Molekularbiologe und gehörte zu den Mitbegründern des Neuen Forums
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/401887.jens-reich.html