nd-aktuell.de / 04.09.2003 / Kultur

Talsperre mit Herzblut

Ein Stück anderer Geschichte von Rainer Thiel

Klaus-Dieter Schönewerk
Von großen Feldherren sagt man, sie hätten Geschichte geschrieben. Nun ja, sie haben vielleicht Geschichte gemacht, doch wer wüsste davon, wären da nicht die Schreiber, die Wahrheit und Legende über die Zeiten weiter geben. Die jedoch waren nicht dabei, als die Pyramiden errichtet wurden und so wissen wir nichts über die Lebensumstände der Bauleute. Es wäre ein Glücksfall wenn einer, der Geschichte zumindest mit gemacht hat, auch Geschichte geschrieben hätte. Und dieser Glücksfall liegt vor mir, zwischen zwei Buchdeckeln, und trägt den Titel »Der Stausee unterm Auersberg«. Zu einer Zeit, da nach dem Zweiten Weltkrieg die Siegermächte jede Menge Reparationen einforderten, kam die sowjetische Besatzungsmacht auf die Idee, die Talsperre Sosa bauen zu lassen. Und wo es an Technik mangelte, musste der Elan der Jugend aushelfen. Noch vor Gründung der DDR ging das Ganze los und wurde zum Jugendobjekt der FDJ. Unter den enthusiastischen Helfern, die vom Bau oft keine Ahnung hatten, befand sich der Autor des Büchleins Rainer Thiel. Der hat später allerhand Philosophisches betrieben, hat sich mit FDJ und SED angelegt, aber die Staumauer bewahrt bis heute so manchen Tropfen seines Schweißes und seines Herzbluts. Als 2001 die Gemeinde festlich des 50. Jahrestages gedachte, an dem die Talsperre fertig gestellt wurde, war er dabei, suchte nach Spuren, nach damaligen Mitstreitern und nach heutigem Umgang mit Geschichte, zu der eben diese außergewöhnliche Talsperre gehört. Dies gilt für technische Details, für ihre Einpassung in die Natur, vor allem aber für ihre Entstehung. Thiel trifft seinen alten Brigadier und Kumpel Manfred Sandig wieder, den er sogar als Mitautor benennt, er dokumentiert Erinnerungen des Bauleiters Siggi (Siegfried) Graupner, der von keiner Großbaustelle der DDR wegzudenken ist, er schildert gegenwärtige Eindrücke und Reaktionen der Menschen, die »ihren« Stausee lieben und schätzen gelernt haben. Was Rainer Thiel hier zusammenfügt, hat die Qualität von Literatur, von Geschichtsschreibung und biografischem Quellenaufschluss. Es liest sich. Thiel kratzt an FDJ-Legenden vom Heroismus und kommt doch nicht um heroischen Einsatz herum, wenn beispielsweise nach einer Prämie die Besoffenen vor der Kneipe aufgesammelt werden müssen. Hier gehts nicht um Heldentod, sondern um Heldenalltag, und wieder bedarfs der Schreiber, um den später, irgendwann, historisch in Szene zu setzen. Dem einen oder anderen Leser mag vielleicht sogar die Frage aufsteigen, wann je kann eine Jugend wieder singen, einfach so, »Bau auf, bau auf?« Rainer Thiel: Der Stausee unterm Auersberg. Die Talsperre des Friedens bei Sosa in Sachsen und der Mythos ihrer Erbauer. trafo verlag. 84 Seiten, Broschur, 8,80.