nd-aktuell.de / 05.09.2003 / Politik
Ich hab mich so an dich gewöhnt...
Neustadt a.d. Aisch: Keine CSU-Regierung kann sich in Bayerns Provinz kaum jemand vorstellen
Olaf Michael Ostertag
Neustadt an der Aisch - 12500 Einwohner, Arbeitslosenquote um die fünf Prozent - ist ein beschauliches Städtchen. Damit das auch in Wahlkampfzeiten so bleibt, hat der Stadtrat (absolute CSU-Mehrheit, dennoch Rathauskoalition mit den Freien Wählern) den Beschluss gefasst, den Parteien im laufenden Landtags- und Bezirkstagswahlkampf Plakatwerbung innerhalb des Stadtgebiets zu untersagen. Die Wahlwerbung wurde auf die Ausfallstraßen sowie fünf vorgegebene, eher abseits gelegene Stellwände beschränkt, auf denen die Parteien und ihre Kandidaten sich im Einheitsformat DIN A1 an die Wähler wenden dürfen.
Da hängen dann die unterschiedlichen Geschmacksmuster der ÖDP (Ökologisch-demokratische Partei - vor allem in Südbayern eine kommunale Kraft) neben denen der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) und der Freien Wähler (FW). Letztere werden von nicht wenigen Beobachtern am 21. September in der Nähe der Fünf-Prozent-Hürde oder sogar im Landtag gesehen. Einträchtig hängt da die Forderung »Bayern braucht Jesus« der »Partei Bibeltreuer Christen« (PBC) neben dem handgeschriebenen Plakat von Bündnis 90/Die Grünen, auf dem unter der Überschrift »Bierathlon« öffentliche Fördermittel für mehr Arbeitsplätze in kleinen Traditionsbrauereien gefordert werden.
Die FDP kann sich noch so sehr anstrengen, sie wird ihre Forderung »Liberale Themen in den Landtag« wohl nicht durchsetzen können. Vieles spricht dafür, dass es am 21. September bei einem Drei-Parteien-Parlament in Bayern bleibt. Während die Grünen ihr Ergebnis von 1998 wohl halten können werden, steht der SPD der erneute Absturz bevor: Prognosen sehen sie bei 22 Prozent, fast schon sächsische Verhältnisse. Aber sie alle beißen sich an einem Gegner die Zähne aus, der nur noch durch die eigene Kraft zu Fall gebracht werden könnte. Das Hauptaugenmerk der CSU-Wahlkampfführung muss sich seit jüngster Zeit darauf richten, zu erklären, eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit der CSU sei nun doch noch nicht in Sicht. Gegen die hätte sogar die Mehrheit der CSU-Anhänger etwas einzuwenden, und könnte dann aus Angst vor einem gar zu guten Ergebnis der eigenen Partei zu Hause bleiben.
Dennoch, für einige persönliche Karrieren wäre ein Ergebnis der CSU von über 60Prozent sehr förderlich. Der Ministerpräsident Edmund Stoiber hat für diesen Fall schon seinen erneuten Anspruch auf die Kanzlerkandidatur angemeldet; aber auch Christa Götz könnte ein hohes Ergebnis gut gebrauchen. Die CSU hat die Landtagsabgeordnete aus dem Stimmkreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim auf einem eher unsicheren Platz auf der Bezirksliste Mittelfranken untergebracht. Seither fehlt sie auf praktisch keinem Vereinsabend in der Region. Pressetermine sind engstens gepackt. Da gibt es dann auch schon mal einen Fototermin vor einem leeren Silo, verbunden mit der Forderung, aus staatlichen Töpfen den Bauern die Einnahmeeinbußen wegen der schlechten Ernte dieses Jahr zu ersetzen. Keine Frage, dass die CSU diesem Ansinnen nachkommen wird, denn für die Bauern hat die Staatsregierung allemal noch Geld im Haushalt.
Ganz wie bei der Bundestagswahl haben die Wahlberechtigten in Bayern für den Landtag zwei Stimmen. Zusätzlich werden am 21. September in den sieben Regierungsbezirken Bayerns die Bezirkstage gewählt, ebenfalls im Erst-/Zweitstimmen-System. Daher Thomas Goppels einprägsamer Spruch »4 Stimmen für die CSU, sonst nix«. Während die unglückliche Christa Götz nun um ein besonders hohes Zweitstimmenergebnis für die CSU in Mittelfranken Klinken putzen muss, bewirbt sich um das Direktmandat ihr Parteifreund Hans Herold. Wobei man kaum sagen kann, dass er sich bewirbt, es ist ihm einfach sicher.
Herold, erfolgreicher Bürgermeister der 3500-Seelen-Gemeinde Ipsheim, amtiert erst seit gut einem Jahr als Kreisvorsitzender und ist der Shooting-Star der CSU im Landkreis. Nachdem der bisherige Inhaber des Direktmandats, der Vorsitzende des Landtagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Friedrich Loscher-Frühwald, aus Altersgründen auf eine erneute Kandidatur verzichtete, musste die örtliche CSU nicht lange nach dem Nachfolger suchen. Sie hat im Landkreis sonst eher das Problem, für die zahlreichen Mandate, die ihr die Wähler bescheren, nicht immer geeignete Kandidaten aufbieten zu können. So gelten die Bürgermeisterin von Neustadt an der Aisch, Claudia Platzöder, oder ihr Scheinfelder Amtskollege Scheuenstuhl auch Parteifreunden eher als Fehlbesetzung. Aber was kann man schon machen, wenn die Personaldecke zu dünn ist.
Wirklich gefährlich können CSU-Kandidaten nur noch Persönlichkeiten der Freien Wähler werden. Folgerichtig ist der Landrat Walter Schneider, bei der Kommunalwahl im März 2002 im Stichwahlgang gegen den CSU-Kandidaten gewählt, ein von nahezu allen anderen Parteien empfohlener FW-Kandidat. Das allgemeine Misstrauen gegen die Politik an sich, die so genannte »Politikverdrossenheit«, hat in Bayern schon sehr früh eingesetzt und zu dem Kuriosum geführt, dass sich Bürger, die zwar kaum anders regiert werden wollten als durch die CSU, aber eben nicht von Parteivertretern, zu eigenen Wahllisten zusammenschlossen. Der politischen Konkurrenz gelten diese meist aus ehrwürdigen Honoratioren zusammengesetzten Anti-Parteien-Initiativen als »die besseren Schwarzen«. Der heterogene Flickenteppich aus »Freien« und »Unabhängigen« hat sich erstmals zu dieser Wahl zu einer einheitlichen Landesorganisation zusammengefunden.
Trotzdem hat die CSU in Neustadt nichts zu befürchten, sie siegt hier durch Understatement. Das Bezirksbüro liegt in der Ansbacher Straße, unter den Hauptstraßen der Stadt zweifellos die vornehmste. Hier befinden sich neben Finanz- und Forstamt, der Bayrischen Versicherungskammer, diversen Steuerberatern, Arztpraxen und Baufirmen vor allem Einrichtungen der Katholischen Kirche. Das ganze Ambiente erhebt den Anspruch der »besseren Gesellschaft«. Hier ist die CSU gut aufgehoben, allerdings scheint sie keinen Besuch zu erwarten. Der Eingang liegt versteckt im Hinterhof, Öffnungszeiten Fehlanzeige. Den Kontakt mit dem Bürger hat man trotzdem. Keine »Kerwa« (fränkisch für Kirchweih oder Volksfest) ohne Bürgermeister-Stammtisch, kein Bürgermeister, der dabei fehlen würde. So kommt es zu Amtsträgerrunden, in denen sich ausschließlich CSU-Mitglieder gegenseitig eine hervorragende Arbeit bescheinigen. Im ganzen Landkreis stellt die SPD nur noch zwei Bürgermeister. Der Erfolg liegt weniger in der Überzeugungskraft, als in der Dauerpräsenz. Ob bei Festumzug oder Schützenfest, immer sagt einer »ich begrüße auch ganz besonders herzlich unseren Herrn Bürgermeister...«Dementsprechend wehmütig trauert der Ortsvereinsvorsitzende der SPD, Manfred Dietlein, den erst seit 2002 vergangenen Zeiten nach, als noch die SPD mit Dr. Wolfgang Mück den Neustädter Bürgermeister stellte. »Die ganze Ortsgestaltung stammt von unserem Herrn Dr. Mück. Die Verkehrsberuhigung, die Kulturarbeit. Und jetzt erklärt die Bürgermeisterin, für die Kultur ist kein Geld mehr da. Wie soll denn eine Bühne ohne Künstler funktionieren?«
Auf prominente Hilfe im Wahlkampf braucht er nicht zu rechnen. »Uns hat die so genannte "Bayern-Kampa" einen Bierzelttermin platzen lassen, weil sie meinten, "vor so kleiner Kulisse spricht der Herr Maget nicht". Wir haben 100000 Einwohner im Landkreis, aber die interessieren die bayrische SPD-Führung nicht. Die wollen Politik ausschließlich in den Städten machen. Und die Bundesprominenz der SPD, die ihren Wahlkreis in Bayern hat - Otto Schily, Renate Schmidt, Walter Kolbow - die dürften jetzt eigentlich nichts anderes zu tun haben als bayrischen Wahlkampf. Aber von denen lässt sich keiner blicken. Wir machen gute Arbeit vor Ort, aber wir kriegen keinerlei Unterstützung.«
Die SPD-Gegenkandidatin für das Direktmandat, Ismene Dingfelder, Fraktionsvorsitzende im Stadtrat Bad Windsheim, rechnet denn auch nicht mit dem Hauch einer Chance, den Wahlkreis zu erobern. Die eloquente Finanzexpertin, die von der SPD-Basis an Stelle der bisherigen Landtagsabgeordneten Hildegard Simon nominiert wurde, hätte allenfalls über die Bezirksliste Mittelfranken, wo sie auf Platz 5 gesetzt ist, die Möglichkeit, in den Landtag einzuziehen. »Dazu bräuchte die SPD im Bezirk Mittelfranken 200000 Stimmen. 1998 hatten wir 175000.« Das wird wohl nichts werden.
Was ist das Geheimnis des nun schon Generationen anhaltenden Erfolges der CSU? Manfred Dietlein hat dafür eine Erklärung: »Alle CSU-Kandidaten sitzen hauptberuflich in irgendwelchen Behörden. Und auf Behörden hat der Mensch in Bayern immer eine Menge zu tun. Wenn dann der Wahltag naht, sagt er sich, da wähl ich doch lieber den, den ich vom Amt her schon kenn'.« Auch CSU-Kandidat Herold sitzt im Landratsamt, als persönlicher Referent des Landrats. »Schon in Ipsheim haben sich die Leute gefragt: "Ja, wen mach' mer denn am besten zum Bürgermeister? Den Hans, der hockt doch schon im Landratsamt, der kennt sich doch da aus."« Und so wird der Hans im Glück, wenn ihn nicht vor dem 21. September noch ein Erdbeben verschluckt, auch in den Bayrischen Landtag einziehen. Die Bürger der von Wahlkampflärm freigehaltenen Stadt im Aischgrund jedenfalls lässt die bevorstehende Wahl kalt. Man merkt ja auch kaum was davon. In Umfragen misst etwa die Hälfte dem Ereignis »geringe« oder »keine« Bedeutung zu. Anders wollte man es wohl auch gar nicht haben, und so könnte fast ganz Bayern der CSU am Wahltag ein Ständchen singen: Ich hab' mich so an dich gewöhnt...
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/40961.ich-hab-mich-so-an-dich-gewoehnt.html