„Wissen Sie , sagt die Potsdam-Botschafterin ganz unverblümt, „sie ist mir eigentlich zu dreckig“ Sie - das ist das alte, 1000jährige Poztupimi, das Elli Mielke seit dem 1. Advent 1945 ihre Heimatstadt nennt. Im Städtchen Zielenzig, rechts der Oder im ehemaligen Brandenburger Landesteil Neumark, erblickte sie vor fast 66 Jahren, am 29. April 1927, das Licht der Welt. Und dieses Datum war es auch, das ihr im Herbst vergangenen Jahres zu einer unverhofften Ehre verhalf. Sie wurde vom Magistrat angeschrieben, weil just am 29. April 1993 die offizielle Eröffnungsveranstaltung des halbjährigen Pots-Tausend-Festzyklus' im Theaterzelt „steigen“ soll.
Auch Elli Mielke und mit ihr zwei weitere Potsdamer Geburtstagskinder, die 70jährige Eva Draheim und der zehnjährige Christian Döbbel, sind dann mit von der Partie, als Ehrengast zwar, doch
nicht umsonst. Das aber stößt ihr sauer auf. Sie versteht nicht, warum die Organisatoren den drei „einfachen Potsdamern“ in der langen Botschafterriege aus Polit- und Kunstprominenz die vierzehn Mark' Eintritt nicht spendieren wollen. Nicht, daß Elli
Mielke geizig wäre, sie hat nur so ihr Kreuz zu tragen. Unterstützt doch die Witwe, ehemals Lotto- und Blumenverkäuferin, mit einem Gutteil ihrer Rente den erwachsenen Sohn Jörg. Er ist ihr größtes Familienproblem, denn der 37jährige sehbehinderte Transportarbeiter hat alle Aussicht, in die Dauerarbeitslosigkeit abzurutschen.
Wie viele ihrer alten Bekannten und Nachbarn, mit denen die Botschafterin im 1962 erbauten Wohnviertel Waldstadt I hier und da über den großen Stadtgeburtstag plaudert, ist die freundliche Frau hin und her gerissen. Denn einerseits, „kann man natürlich so ein Jubiläum nicht einfach vorüberziehen lassen, aber andererseits haben wir Potsdamer derzeit wohl ganz andere Sorgen“.
Mit Unmut beispielsweise nimmt Elli Mielke zur Kenntnis, daß ihr Wohnumfeld jetzt so „dreckig“ geworden ist, daß
revalisierende Skinhead-Banden Gaststätten und Diskotheken verwüsten, „sich ein alter Mensch wie ich kaum hoch allein auf die Straße
trauen kann
Dennoch, „ihrem Potsdam“, das ihr 1945 als ein Trümmerfeld begegnete, und sich zwischenzeitlich zu eingr „ freundlich-menschenfreundlichen Stadt“ wandelte, weiß die rüstige Rentnerin noch irtimer schöne Seiten abzugewinnen. Die schmale Freundschaftsinsel zwischen alter und neuer Fahrt beispielsweise, „die ist jetzt im Frühjahr wieder das reine Paradies“.
Ais echte Brandenburg-Preußin weiß sie zudem, die Pflicht eines „Ehrenamtes“ richtig zu deuten. Hier ein Empfang, dort ein Abend „Potsdam-Botschafter stellen sich vor“ - wenn es ums offi-j zielle Repräsentieren geht, kommt kein kritisches Wort
über die Lippen. £ Märkte weg - ein Schlag, von
ERNST ESPACH j dem sich das Unternehmen bis
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/413579.eigentlich-haben-wir-andere-sorgen.html