nd-aktuell.de / 06.05.1993 / Politik / Seite 20

Einsames Licht im schrägen Fenster

Die Stimmung ist abendlich, getragen, dunkel. Ein Mann mit Hut, man sieht ihn von hinten, blickt auf eine Häuserfassade. Die Hand eines vom Bild nicht mehr erfaßten Passanten trägt eine Zigarette. Eine Frau in Tüllkleid und Netzstrümpfen scheint gerade ihr Appartment zu verlassen. Auf dem Bett sind Kleider verstreut, daneben stehen Weinflaschen, man sieht ihren Kopf nicht. In der Straße werfen die Bäume Schatten. Dann, noch dunkler, eine fast leere Piazza. Die 1952 in Norwegen geborene, jetzt in Berlin lebende Fotografin Bente Geving hat jeweils drei mal drei Fotos zu Tableaus zusammengestellt, von denen jedes auf ein Geschehen, eine Geschichte außerhalb von sich zu verweisen scheint. Solchermaßen komponiert, ergeben sie die Folie für ein Kino im Kopf, dessen Assoziationen in vielerlei Richtungen verlaufen dürfen.

Ein faltiges Männergesicht, ein Schnurrbart, eine Cappucinotasse, Bistrostühle und -tische. Autoarmaturen, ein Lenkrad, regennasse Scheiben, ein Frauengesicht, ein aufgeschlagenes Tagebuch. Auch Brigitte Hempel aus Düsseldorf erzählt, indem sie fragmentarisierende Aufnahmen zu offenen Geschichten zusammenstellt. Eine weitere Technik von Hempel besteht darin, zwei Fotos in einem Rahmen untereinander zu stellen, so daß sie auf den ersten Blick eine Einheit bilden. Erst der zweite Blick erkennt, daß unter dem Hauseingang eine sanfte See über den Strand streicht, daß unter

einem französischen Friedhofstein eine Dünne liegt.

So wird der Blick vom Gegenständlichen abund auf feinere Entitäten gelenkt. Man blickt auf einen Sprung im Stein, eine Spur im Sand, einen Sonnenstrahl; ein Licht im Fenster. Während die ausschnitthafte Darstellung bei Hempel eher auf die Herstellung einer melancholischen Stimmung zielt, spielt Geving mit dem Bedrohlichen, das dort zu lauern scheint, das die Fotos nicht zeigen, aber andeuten. Die oberen Stockwerke eines Mietshauses, das vielleicht am Bahndamm oder am Rande eines Industriegebietes steht, scheint in die Bildmitte zu kippen. Nur ein Fenster ist erleuchtet. Brät sich hier einer nächtlich ein Spiegelei, wäscht eine Frau ihre Strümpfe aus, oder geschieht etwas, was am nächsten Tag im Boulevardblatt steht?

Übrigens droht - ach, wie sind wir müde, solches zu vermelden - auch der Fotogalerie Friedrichshain durch bezirkliche Stellenstreichungen das „Aus“. Berlin verlöre dann eine weitere kleine, aber feine und in Sachen Fotografie überaus wichtige Adresse. Aber der Kultursenator, erklärter Vertreter dezentraler Kulturstätten, wird's schon richten. Hoffentlich. ' RENE MELZER

Kommunale Galerie Friedrichshain, Helsingforser Platz 1: Fotografien von Bente Geving und Brigitte Hempel. Bis 22.5., Di-Fr 11-18, Sa 14-18 Uhr.