nd-aktuell.de / 29.10.2003 / Ratgeber
Verantwortlichkeit bei Sturmschäden durch Bäume
FRANK AUERBACH, Rechtsanwalt, Dr. Arzinger & Partner
In Zeiten, wo Unwetter und Stürme auch in Deutschland immer heftigere Auswirkungen zu haben scheinen, als wir sie aus früheren Jahren kennen, gewinnt die Haftung für Sturmschäden durch umstürzende Bäume, abgebrochene Äste oder größere Baumteile etc. an Bedeutung.
Der Grundsatz:
Dem Eigentümer eines Grundstückes obliegt die Verkehrssicherungspflicht für die auf seinem Grundstück stehenden Bäume, die durch Umstürzen, Abbrechen von Baumteilen oder Ästen etc. Schäden verursachen können. Eine Haftung des Eigentümers und damit der Erfolg gegen ihn gerichteter Schadensersatzansprüche ergibt sich jedoch nicht automatisch, sondern setzt eine schuldhafte Verletzung der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten und kausal hierdurch herbeigeführte Schäden voraus.
Es soll hier nicht vertieft werden, wann und in welchem Umfang statt oder auch neben dem Eigentümer Dritte für durch Bäume verursachte Sturmschäden haften können, beispielsweise dann, wenn das Grundstück Dritten dauerhaft, meist zum alleinigen Besitz zur Pacht, Miete oder auf Grund Erbbaurechtes überlassen wird.
Anforderungen der Rechtsprechung an den Eigentümer:
Wie so oft ergibt sich der Umfang der Verkehrssicherungspflicht aus der Bewertung des Einzelfalls. Das Oberlandesgericht Schleswig meint (Urteil vom 9. November 1994, Az. 12 U 22/93), ein Grenzbaum oder grenznah stehender Baum stelle stets eine mögliche Gefahrenquelle für ein Nachbargrundstück dar. Je näher ein Baum an der Grundstücksgrenze stehe, je größer und älter er sei und je stärker er durch Krankheit, Umwelteinflüsse etc. geschädigt sei, erhöhe sich auch die von ihm ausgehende Gefahr für das Nachbargrundstück und damit auch die Anforderungen an die Gefahrenvorsorge. Folgende Grundsätze für den Eigentümer haben Gerichte aufgestellt: Eine Sichtkontrolle im halbjährlichen Rhythmus im belaubten und im unbelaubten Zustand eines Baumes ist ausreichend.
Erhöhte Obacht ist dann geboten, wenn der Baum Krankheitsanzeichen oder sonstige Anomalien zeigt oder auch grenznah steht, möglicherweise sogar unter Nichteinhaltung der nach den Nachbarrechtsgesetzen vorgeschriebenen Mindestabstände zur Grundstücksgrenze.
Immer muss der durch einen Baum Geschädigte zur Begründung der Haftung des Baumeigentümers den Kausalitäts- und Verschuldensnachweis erbringen. Gab es keine Anzeichen für Vorschäden des Baumes und ist regelmäßig vom Eigentümer kontrolliert worden, gibt es keine gegen ihn sprechende Vermutung. Dies gilt erst recht nicht bei Sturm.
Laut Bundesgerichtshof (BGH) hat der Eigentümer Beeinträchtigungen und Schäden durch einen Baum, der in Folge eines ungewöhnlich heftigen Sturmes auf das Nachbargrundstück gestürzt ist, dann nicht zu vertreten, wenn der Baum gegenüber normalen Einwirkungen der Naturkräfte hinreichend widerstandsfähig war. Denn das bloße Anpflanzen und Aufziehen von widerstandsfähigen Bäumen begründet noch keine Gefahrenlage. Anders ist das, wenn Bäume infolge Krankheit oder Überalterung diese Widerstandskraft eingebüßt haben (Urteil vom 23. April 1993, Az. V ZR 250/92).
Ab Windstärke 8 (Beaufortskala ab 62 Kilometern je Stunde) gehen Gerichte von einem außergewöhnlichen Naturereignis aus; Sturmschadenversicherungen treten ab dieser Windstärke für Schäden ein. Soweit keine Anzeichen einer eingeschränkten Widerstandskraft bei einem Baum erkennbar waren, ist bei derart starken Stürmen die Haftung des Eigentümers schwer begründbar.
Wenn eine Sichtkontrolle Vorschäden oder Krankheitsanzeichen offenbart, muss der verkehrspflichtige Eigentümer mehr tun, sich beispielsweise durch Abklopfen vergewissern, inwieweit im Inneren des Baumes bereits Fäulnisprozesse vorangeschritten sind, die die Standsicherheit beeinträchtigen können (vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil vom 12. Januar 1999, Az. 2 O 40/98). Bei solch weiter gehender Kontrolle ist die Hinzuziehung eines Baumsachverständigen zu empfehlen, der auf Grund langjähriger Übung und Erfahrung in der Lage ist, durch entsprechende Untersuchungsverfahren genauere Feststellungen zu treffen und Empfehlungen zur Gefahrenvorsorge zu geben.
Unmögliches wird vom Grundstückseigentümer nicht verlangt, denn eine absolute Gewissheit über die Stand- und Bruchsicherheit von Bäumen gibt es nicht, zumal es eine natürliche Versagensrate auch gesunder Bäume gibt (BGH, Urteil vom 21. Januar 1965, Az. III ZR 217/63). Entscheidend ist daher, verdächtige Umstände rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren.
Das Urteil des BGH vom 21. März 2003:
Der Bundesgerichtshof hat in einem aktuellen Urteil vom 21. März 2003, Az. V ZR 319/02, die Haftungsgrundsätze eines Baumeigentümers zusammengefasst. Derjenige, der die Verfügungsgewalt über ein Grundstück ausübt, hat im Rahmen des Möglichen dafür zu sorgen, dass von den dort stehenden Bäumen keine Gefahr für andere ausgeht und der Baumbestand so angelegt ist, dass er im Rahmen des nach forstwissenschaftlichen Erkenntnissen Möglichen gegen Windbruch und Windwurf, insbesondere auch gegen Umstürzen auf Grund fehlender Standfestigkeit, gesichert ist.
Ist ein Baum wegen seines Alters umsturzgefährdet, so verletzt der Eigentümer seine Pflicht, wenn er vor offensichtlichen Anzeichen der Standunsicherheit die Augen verschließt und den Baum nicht fällt.
Im konkreten Falle bestand bereits lange Zeit vor dem Schadensereignis genügend Anlass für Sicherungsmaßnahmen. Die später umgestürzten Pappeln waren wegen ihres Alters, das normalerweise Anlass zur Fällung von Pappeln gibt, nicht mehr standsicher und somit gegenüber normalen Einwirkungen der Naturkräfte nicht mehr hinreichend widerstandsfähig. Zudem hatte der Nachbar vorher mehrfach auf die Fällbedürftigkeit hingewiesen.
Bei solchen klaren Anzeichen für die nicht mehr gegebene Standsicherheit der Bäume erkannte der BGH eine verschuldete Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Eigentümers, der gemäß § 823 Abs. 1 BGB dem Nachbarn die durch das Umstürzen der Bäume entstehenden Schäden zu ersetzen hat. Diese Schadensersatzpflicht umfasst sämtliche durch das Umstürzen der Bäume verursachten Schäden.
Dem Eigentümer half auch nicht der Einwand, die Gartenhäuser, auf die die Bäume gestürzt waren, seien baurechtswidrig und bewusst in einer Gefahrenzone errichtet worden. Denn selbst ein Fehlen der Baugenehmigung ist nicht kausal für den eingetretenen Schaden, und der Grundstücksnachbar muss sich auch nicht Einschränkungen auferlegen, um seinem Nachbarn die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ohne Schadensfolgen zu ermöglichen.
Der Nachbar hätte auf Grund der von ihm erkannten Anzeichen vor Umstürzen des Baumes gegen den Baumeigentümer auch klageweise einen Beseitigungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB geltend machen können. Verpflichtet war er hierzu nicht. Er hatte ihn ausdrücklich auf die Umsturzgefährdung hingewiesen.
Auch der Umstand, dass die Bäume bei einem Sturm umstürzten, sprach nicht zu Gunsten des Eigentümers, denn das Umstürzen der Pappeln war nicht ausschließlich Folge des Einwirkens von Naturkräften, sondern ging bereits auf die fehlende Standsicherheit auch wegen des Alters der Bäume zurück.
Das Urteil des BGH sollte ein Achtungszeichen sein, die Überprüfungen der Bäume unabhängig von Sturmwarnungen und Unwetter regelmäßig vorzunehmen.
Höhere Anforderungen bei Straßenbäumen:
Bei Straßenbäumen sehen die Gerichte eine gesteigerte Verkehrssicherungspflicht, was sowohl für private Grundstücksanlieger, deren Bäume an einer öffentlichen Straße stehen (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 9. November 1994, Az. 12 U 22/93) gelte, als auch für die Gemeinde, wenn es sich um öffentliche Straßenbäume handelt (BGH, Urteil vom 1. Juli 1993, Az. III ZR 167/92). So haben beispielsweise die Richter des Koblenzer Oberlandesgerichtes entschieden (Az. 12 U 1214/00), dass »kompromisslos sicher« kontrolliert werden müsse, eine Gemeinde verpflichtet sei, die Kronen ihrer Bäume auch mit Hubwagen zu inspizieren und nicht eine bloße Sichtkontrolle vom Boden aus genüge.
Im konkreten Falle hatte ein Autofahrer Schadensersatzklage gegen die Gemeinde erhoben, da er seinen Wagen unter Straßenbäumen geparkt hatte. Dort fiel ein etwa 10 Meter langer und 18 Zentimeter dicker Ast auf den Wagen und richtete einen Schaden von rund 3700 Euro an. Die Richter warfen der Gemeinde vor, die Verkehrssicherungspflicht dadurch verletzt zu haben, dass sie jahrelang aus Kostengründen auf ein Rückschneiden der Bäume verzichtet und zum anderen den exponierten Standpunkt der Bäume nicht ausreichend berücksichtigt habe, um zuverlässig feststellen zu können, ob sich unter den Ästen auch so genanntes Totholz befinde. Dies hätte mehr als nur Sichtkontrolle nahe gelegt.
Auch wenn diese Entscheidung nicht ohne weiteres übertragbar ist, zeigt sie, dass auf öffentlichem Straßenland verschärfte Haftungsgrundsätze gelten, die auch die öffentliche Hand binden und deren Verletzung zur Amtshaftung führen kann.
Festzuhalten ist noch, dass diese dem Eigentümer an Straßenbäumen obliegende Verkehrssicherungspflicht nicht nur den Schutz der Verkehrsteilnehmer bezweckt, sondern auch des Eigentums an den Anliegergrundstücken (BGH, Urteil vom 1. Juli 1993, Az. III ZR 167/92).
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/43559.verantwortlichkeit-bei-sturmschaeden-durch-baeume.html