nd-aktuell.de / 27.06.1994 / Kultur / Seite 10

Der Dichter von Pelle und Ditte

RUDOLF SCHOLZ

Das hat sich in gewendeten Zeiten drastisch verändert. Die im Frühjahr 1991 durch den Rat der Stadt Dresden verfügte Schließung der Gedenkstätte Collenbuschstraße 4 auf dem Weißen Hirsch, wo der Dichter die letzten Jahre bis zu seinem Tod im Jahre 1954 verbrachte, ist ein signifikantes Beispiel dafür. Angesichts dessen, daß auch die Bücher Nexös aus zahlreichen Bibliotheken verschwanden, liegt es nahe, von einer latenten Abwicklung des Dichters zu sprechen - ein Umstand, der unlängst auch auf dem Kongreß zur Verteidigung der Kultur in Halle kritisch re-

gistriert wurde. In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß vor Jahresfrist ein hochrangiger Kulturbeamter der Stadt Dresden mit Äußerungen für Befremden sorgte, in denen Nexö als Schriftsteller minderen Ranges abgetan wurde.

Ins Spannungsfeld dieser Fakten ordnet sich die'Ausstellung ein, die anläßlich des 125. Geburtstages von Nexö am Freitag voriger Woche im Gebäude des Sächsischen Landtages eröffnet wurde. Die Veranstalter- Landtagsfraktion PDS/Linke Liste, die Bibliothek

beim PDS-Landesvorstand Sachsen sowie der Rosa-Luxemburg-Verein.

Im Vergleich zu der repräsentativen Ausstellung, die ein Jahr nach Nexös Tod im Licht-*hof des Dresdner Rathauses stattfand und 40 000 Besucher zählte, nimmt sich die jetzige bescheiden aus. In mehreren Anschauungstafeln werden die wichtigsten Lebensstationen des Schriftstellers dargestellt sowie eine Chronologie seiner Werke dargeboten. Neben Selbstaussagen und charakteristischen Zitaten kommen Zeitgenossen zu Wort: so Ro-

main Rolland, der ihn Gorki an die Seite stellte, und Thomas Mann, der ihn den Stolz Dänemarks und ganz Europas moralischen Besitz nannte. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der umfangreichen Kollektion Nexöscher Bücher, darunter die deutschen Erstausgaben des Romans „Sühne“ aus dem Jahre 1902 und die „Bornholmer Novellen“, erschienen 1909 bei Georg Merseburger in Leipzig. Weitere Exponate: die 1929 begonnene, aufgrund des Verbots durch die Nazis unvollendet gebliebene Volksausgabe der Büchergilde Gutenberg, die

Werkausgaben des Dietz- und des Aufbau-Verlages sowie zahlreiche deutschsprachige und ausländische Einzelexemplare und Faksimiles von Handschriften und Zeitdokumenten. Schließlich als eindrucksvoller bildkünstlerischer Akzent die Illustrationen der Grafikstudentin Katharina Kretschmar zur „Ditte“

Der offiziellen Eröffnung schloß sich eine Veranstaltung an, in der der Schauspieler Jochen Kretschmer aus Andersen-Nexös Werken las. Für Montag, den 27 Juni, 17.30 Uhr, ist zu einem Vortrag der Literaturwissenschaftlerin Dr Erika Kosmalla mit anschließender Podiumsdiskussion eingeladen.

Die Ausstellung im Sächsischen Landtag, Raum 100, ist bis 30. Juni, jeweils von 10 bis 18 Uhr, geöffnet.