nd-aktuell.de / 26.02.2004 / Kultur
Schönheit und Provokation
Jubiläumsausstellung im Berliner Studio Bildende Kunst: Walter Herzog und Sibylle Prange
Rudolf Hempel
Den Stoff sieht jedermann vor sich, zum Gehalt findet nur der, der etwas dazuzutun hat. Und die Form ist ein Geheimnis den meisten. Mit diesem Gedanken aus Goethes »Maximen und Reflexionen« gibt Walter Herzog einen Hinweis, wie man sich seinen Werken nähern kann. Mit Bedacht. Bereit, des Künstlers Sicht auf die Wirklichkeit zu entschlüsseln. Denn, mit Paul Klee gesprochen, Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.
1936 in Dresden geboren, seit 1963 in Berlin lebend, gab Walter Herzog 1980 seinen Architektenberuf auf. Er wurde zu einem der renommierten Radierer und Zeichner in der DDR, hatte zahllose Ausstellungen, seine Arbeiten sind in Museen, öffentlichen und privaten Sammlungen deutschlandweit zu finden.
Das Studio Bildende Kunst in Berlin-Lichtenberg - es besteht jetzt 30 Jahre - präsentiert aus Herzogs reichem Fundus etwa 35 Landschaftsbilder aus den letzten fünf Jahren. Sie spiegeln Eindrücke wider, die der Künstler auf Rügen, im sächsischen Elbsandsteingebiet und in anderen Regionen der neuen Bundesländer sammelte. Die melancholisch wirkenden Bildwerke, »fast immer Landschaften mit abwesenden Figuren«, bestechen durch ihre filigrane Darstellung von Natur. Und der Spuren, die darin menschliche Tätigkeit hinterlassen hat. Wege und Brücken, Boote, verlassene Bauwerke, Bäume, Steine, Stamm und Stufen. Im Hell und Dunkel klar komponiert, selbst wenn die Natur uns im verworrenen Detail gegenübertritt. Herzog, ein Romantiker des 20. Jahrhunderts, hat sich an Rembrandt, Hercules Seghers, Carl Blechen und Caspar David Friedrich geschult. »Ich radiere, was ich sehe oder vielmehr was ich denke, was ich sehen wollte, durch Geist, Auge und Hand gefiltert, gespiegelt, geformt, in niemandes Auftrag als dem Innewohnenden.«
Figürliche Arbeiten auf Papier sind von der aus Eberswalde stammenden 34-jährigen Malerin und Grafikerin Sibylle Prange zu sehen. Die Absolventin der Kunsthochschule Berlin-Weißensee war Meisterschülerin bei Wolfgang Peuker und ihre Lebenssicht ist von ihrer dem Studium vorangegangenen Ausbildung als Handweberin und von zahlreichen Studienreisen beeinflusst, die sie unter anderem nach Amsterdam, Paris, Venedig, nach Polen, Syrien und Jordanien führten. Die im Studio Bildende Kunst ausgestellten Werke variieren alle das Thema Schwerelosigkeit.
Kaum mehr als eine schwebende, in der äußeren Erscheinung gleichförmig unbekleidete Person mit knallrotem Mund und aufgeworfenen Lippen nimmt man beim ersten Hinsehen wahr. Sie sind jedoch inhaltlich, formal und malerisch komplexe Bilder, die vom Betrachter Geduld und Fantasie verlangen. Wohin fliegt die Gestalt? Zu den Sternen oder in den Abgrund? Geht es um Leben oder Tod? Sibylle Prange lässt die Frage offen.
Herzog und Prange, Vertreter zweier Künstlergenerationen, reflektieren zwar mit ganz unterschiedlichen Ausdrucksmitteln ihre Umwelt. Aber gemeinsam ist ihnen, dass ihre Arbeiten den Betrachter zum intensiven Nach- und Weiterdenken anregen. Schönheit schließt bei beiden durchaus Provokation ein.
Letzteres ein Wort, das auch mit dem Veranstaltungsort, der denkmalgeschützten Art-Deco-Villa im Ostteil der Stadt, in Verbindung gebracht werden sollte. Das Studio Bildende Kunst war 1974 im Neubaugebiet Frankfurter Allee Süd mit dem Ziel gegründet worden, nicht nur Kennern oder Fachleuten Kunst zu präsentieren, sondern sie jedermann nahe zu bringen. Heute gehört es zu den ältesten vergleichbaren kommunalen Galerien Berlins, zählt zu den ersten Adressen der Stadt für Grafikausstellungen. Studioleiter Alf-Werner Bückert beschreibt das Profil des Hauses als eine »Kombination von Angebotskomplexen, die unterschiedliche kulturelle Bedürfnisse aufgreifen« wie Ausstellungsprojekte zu Originaldrucktechniken, Kurse mit berufsvorbereitendem Charakter, Seniorenkurse, weiterführende Workshops, Kammermusikabende und Lesungen in Zusammenarbeit mit Kleinverlagen. Hinzu kommt die Kooperation mit dem 1990 im Hause gegründeten INVENTOR e.V. Verein Berliner Grafikfreunde, mit dem Ausstellungen und jährlich Versteigerungen zugunsten der Kinder von Tschernobyl organisiert werden. Seit 1991 wurde ein Erlös von 25000 Euro erzielt. Insgesamt konnte das Studio bei rund 500 Veranstaltungen und Kursen weit über 400000 Besucher begrüßen.
Doch das traditionsreiche Haus droht jetzt den Berliner Sparplänen zum Opfer zu fallen, am 30. März soll es geschlossen werden. Es gehört zu den 33 bezirklichen Einrichtungen, die im Jahre 2004/05 »wegfallen« sollen. Dagegen wurden bereits Unterschriften gesammelt, Künstler und Berliner Kunsthochschulen protestieren. Ein gesellschaftsfeindlicher Akt, so Studioleiter Bückert zur geplanten Schließung.
Studio Bildende Kunst, John-Sieg-Straße 13, Berlin: Walter Herzog und Sibylle Prange. Bis 18. März, Mo-Do 15-20Uhr
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/49365.schoenheit-und-provokation.html