nd-aktuell.de / 10.05.1995 / Brandenburg / Seite 19

Albert Mangelsdorffs doppelte Befreiung

Jazz und Schlager aus Kriegs- und Nachkriegszeiten live und über Rundfunk,, ,,.,

Der Einmarsch der Amerikaner in Frankfurt/Main brachte Albert Mangelsdorff (Jahrgang 1928) in doppelter Hinsicht die Befreiung: vor tödlicher Angst, da er sich der Einberufung im März 1945 widersetzt hatte und untergetaucht war, und vom Verbot des Jazz, den sein älterer Bruder Emil nur heimlich betrieb.

Immerhin wurde Albert Mangelsdorff schon 1947 in eine amerikanische Bigband aufgenommen. Mangelsdorff war der älteste der sechs Musikanten, die sich im großen SFB-Sendesaal zu dem mitreißenden Programm „Old Friends. 50 Jahre Jazz, made in Germany“ trafen.

Außer dem Meisterposaunisten, der noch jetzt die gewagtesten und skurrilsten Chorusse hinlegt, waren unter anderen Asse wie Saxophonist Klaus Doldinger, Trompeter Manfred Schoof und Pianist Wolfgang Dauner als Interpreten wie Komponisten dabei.

Meist zwar mit modernen, heutigen Tönen, aber auch mit ein paar Reminiszenzen, wie zum Beispiel „Perdido“.

Ebenfalls bewegend waren Doldingers „Missing you“ und „Hut ab“ von Mangelsdorff. Der, zweite Teil der Sendung ist an diesem Sonntag, 23 Uhr, auf SFB 3 zu hören.

Auch das Deutschlandradio hatte sich an gleicher Stelle etwas einfallen lassen: mehr sing- und schlagerbetont allerdings mit „Stunde Null - Opus One“. In zwei Hälften ist dies am Sonntag, 14. Mai, und Sonntag, 21. Mai, jeweils ab 14.35 Uhr nachzuerleben.

Im Programm waren sogar zwei Veteranen aufgeboten: mit sensiblem Gitarren-Solo Coco Schumann und Tenor-Saxophonist Max Greger, der in diesem Monat 50jähriges Berufsjubiläum begeht und noch immer eine heiße Kanne spielt.

Max Greger begab sich unter anderem auf die Spuren Duke

Ellingtons und Glenn Millers. Solistisch betätigte sich der amerikanische Bandleader Jiggs Wigham mit seiner Posaune. Titel: „Bei dir war es immer so schön“ (Theo Makkeben). In ausgefeilten Arrangements hörte man außerdem Weisen von Werner Bochmann, Willi Kollo sowie Ralph Maria Siegel.

Amerikanisches sangen die Honey Pie-Singers aus Nürnberg, und die Berlinerin Angelika Muster brachte Chaplin und auch den West-Berliner Günter Neumann.

Aber kein Natschinski, kein Quermann, kein Luten Petrowsky, keine Uschi Brüning, keine Dagmar Frederic, um nur ein paar Hausnummern möglicher Ost-Beteiligter in beiden Sendungen zu nennen. Eine vertane Chance, und das zumal in dem vereinigten Programm. Unterhaltungskunst im anderen Deutschland, dieser Eindruck mußte entstehen, hat es nie gegeben.

Zweifach in diesen Tagen auch die Erinnerung an NS-Zeiten mit seinem KDF-Rummel. Gerade wurde für den WDR in der Kleinen Revue des Friedrichstadtpalastes unter der musikalischen Leitung von Ulla Harnisch „Wunschkonzert und Widerstand“ aufgezeichnet. Untertitel: „Erwünschtes und Verwünschtes im Dritten Reich“

Und am kommenden Sonnabend, 13. Mai, und Sonntag, 14. Mai, heißt es im Grimm-Haus der Musikschule Tiergarten in der Turmstraße 75: „Davon geht die Welt nicht unter“ Von der Schauspielerin Christel Siems, der Sängerin Margarete Pape und der Pianistin Rita Stasiewicz wird der musikalisch-literarische Dialog zwischen der Unterhaltungsindustrie des Faschismus und den als Regime-Kritikern, Exi? lanten, aber auch als Pazifisten des 1. Weltkrieges Betroffenen beschrieben. Beginn ist um 20 Uhr.

LUCIE WALTER