Foto: R. Bertelsmann
Die Kleinbürgerstochter Else ist in einem Clubhotel abgestiegen und amüsiert sich flatterhaft zu Tode, tut also nichts weniger und nichts mehr, als sich zu langweilen und nach einem möglichen, zukünftigen Göttergatten Ausschau zu halten. Daß solche Ausschau im sittenstrengen, verlogenen, katholischen Österreich der 20iger Jahre eher platonisch als fleischlich abläuft zumindest oberflächlich betrachtet und in der Öffentlichkeit dürfte klar sein. Aber gerade die katholisch-kleinbürgerlich-puritanische Ausstellung nach Außen hat innen reichlich Tummelplätze zurückgelassen für Konflikte, die nur darauf warten aufzubrechen. Und in den Strudel des Bewußten und Unbewußten gerät auch unser „Fräulein Else“, deren Psychogramm Arthur Schnitzler (von Sigmund Freud höchst verehrt!) entwarf und Agnes Giese jetzt in der Brotfabrik inszenierte.
Um Elses in inneren Kämpfen unerprobtes Seelchen in Aufruhr zu bringen, also hysterisch und tief melancholisch werden zu lassen, bedurfte es nur eines winzigen Expreßbriefes der liebenden Mutter. Diese schrieb nämlich ins Urlaubsparadies, daß, wenn nicht innerhalb kürzester Zeit eine größere Summe aufgetrieben wäre, der Vater in arge Bedrängnis käme. Und die einzige, die den Untergang der Familie aufhalten könne, sei Else - sie muß das Geld beschaffen, koste es, was es wolle und sei es gar die Jungfernschaft. Derart von der heiligen Familie unter Druck gesetzt und im Luststreben legalisiert, beginnen in Elses Innerem die Fiktionen durcheinanderzuschießen und wie Unkraut zu wuchern. Sie durchlebt in ihrer Vorstellung, angeekelt und erotisiert zugleich, alle möglichen Variationen von Ausschweifungen, die sie in den Besitz,des Geldes bringen könnten und .das, was dem Vater droht oder er sich antun könnte, wenn sie versagt.
Julia Hartmann als Fräulein Else schafft es während der ganzen Vorstellungsdauer, den Monolog spannend und unterhaltsam in Szene zu setzen. Sie versteht es, nur unterstützt von einem Tennisschläger, einem Kleiderhaken und einem Stuhl, Situationen hysterischer Normenhörigkeit, geiler Sehnsucht, infantiler Liebdienerei und gesellschaftliches Umfeld gegeneinander auszuspielen. Es macht Spaß, ihre Version der Schnitzlerschen Novelle zu sehen und zu hören. MARIO STUMPFE
Donnerstags bis sonntags, 20.30 Uhr, in der Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/560291.im-strudel-des-unbewussten-und-der-konflikte.html