nd-aktuell.de / 20.08.2004 / Sport

Ein Dorf steht Kopf - die Bayern kommen

TSV Völpke spielt am Sonnabend im DFB-Pokal gegen Rekordmeister München

Matthias Koch
Wo befindet sich Völpke? Das fragte sich Thoralf Bennert vor vier Jahren, als er das Angebot erhielt, den ortsansässigen Fußballverein zu trainieren. Der ehemalige Zweitligaprofi des FC Carl Zeiss Jena wusste damals nicht genau, wo das 1700-Seelen-Dorf liegt. Es ist dem 39-Jährigen noch immer ein wenig peinlich, dass er zur ersten Vertragsverhandlung aus Versehen erst einmal ins niedersächsische Velpke gefahren war.
Dass das sich so ähnlich anhörende Völpke tatsächlich zu Sachsen-Anhalt gehört, wissen seit dem 17. Juli 2004 jedoch viele fußballbegeisterte Menschen. An diesem Tag wurde dem Verein aus der Verbandsliga Sachsen-Anhalt - das ist die fünfthöchste Spielklasse in Deutschland - für die 1. Runde des DFB-Pokals der FC Bayern München zugelost. Der Jubel im Vereinsheim war unbeschreiblich. Millionen von Fernsehzuschauern konnten in der ARD live miterleben, wie die Jungen auf den Tischen tanzten und die Alten ihren Freudentränen freien Lauf ließen. Seit diesem Tag steht das Dorf Kopf.

Vom Bahnhof blieb nur die Straße

Im Vorfeld der morgigen Partie brach in der bis 1963 zum Sperrgebiet gehörenden Gemeinde - das »westdeutsche« Helmstedt liegt nur 13 Kilometer entfernt - eine nie gekannte Euphorie aus. »Das Spiel gegen die Bayern ist seit Wochen Dorfgesprächsthema Nummer eins«, sagt Gesamtvereinschef Gerhard Reimann. Der 77-Jährige, der von 1954 bis 1990 Sportlehrer im Ort war, kann es immer noch nicht so richtig glauben: »Wir haben uns die Bayern richtig gewünscht - und bekommen.«
Für Völpke ist das ein Segen. In der ehemaligen Bergarbeitersiedlung gibt es sonst wenig Abwechslung. Seit der Schließung der Brikettfabrik nach der Wende fahren noch nicht mal mehr Züge von oder nach Völpke. Die Gleise wurden demontiert. An den früheren Güter- und Personenverkehr erinnert nur noch die Bahnhofstraße, an der sich die Spielstätte des TSV befindet. »Wer sich fortbewegen will, muss ein Auto haben. Busse nach Helmstedt oder Oschersleben fahren nur drei Mal am Tag«, sagt Orts- und Vereinschronist Walter Gadau (74) beim Rundgang durch das beschauliche Dorf.
Doch manche Dinge machen Völpke einmalig. Zum einen ist das ein Verkehrsgarten für Kinder, der vielen Großstädten gut zu Gesicht stände. Zum anderen ist das die »Montan Wachs Fabrik«, die 100 Menschen Lohn und Brot gibt. »Wir stellen aus Braunkohle Rohstoffe zur Weiterverarbeitung her«, erzählt Georg-Friedrich Oelze. Der Chef der »Montan Wachs Fabrik«, die weltweit jährlich rund 20 Millionen Euro umsetzt, ist seit 1995 zugleich Hauptsponsor des Vereins. Die Fabrik deckt mehr als die Hälfte des 100000 Euro betragenden Saisonetats. Oelze setzt mit seiner finanziellen Unterstützung die Tradition des Vorgänger-Betriebes fort, der schon zu DDR-Zeiten ein Devisenbringer war. Mit dem Aufstieg in die Verbandsliga 1999 konnte der Völpker Fußball ein erstes größeres Achtungszeichen setzen.

Trainer Thoralf Bennert
Hauptsponsor Georg-Friedrich Oelze
Ganz in Weiß wie Real Madrid

Die Erfolge in der Meisterschaft, die vergangene Serie schloss der TSV als Vizemeister ab, interessieren derzeit aber nicht so sehr. Der 2:0-Sieg gegen Börde Magdeburg zum Auftakt der neuen Serie am Sonnabend war eher eine Randerscheinung. In Wahrheit dreht sich alles nur um die Begegnung gegen den deutschen Rekordmeister aus München. Mehrere Sportausrüster boten sich für dieses Pokalspiel freiwillig an - den Zuschlag bekam »Uhlsport«. Ganz in Weiß, so bezwang mehrfach Real Madrid die Münchner, will man gegen Bayern in ausschließlich für diese Partie gefertigten Hemden auflaufen.
Bis dahin wird die Stimmung über Fernsehstationen, Rundfunksender und Printmedien aus ganz Deutschland mächtig angeheizt. Täglich tauchen Medienvertreter beim Training auf. Zum Volksfest am heutigen Freitagabend kommen sicher mehr Besucher als bei einem normalen Völpker Heimspiel auf den Platz. Dort lassen sich im Schnitt nur 200 Anhänger blicken. Insgesamt passen lediglich 1000 Fans auf die kleine Anlage. Gegen die großen Bayern werden es jedoch 20700 Zuschauer sein. Das Spiel ist seit zwei Wochen restlos ausverkauft.
Für diese tolle Kulisse nehmen die Völpker sogar den Umzug ins 120 Kilometer entfernte Dessau in Kauf. »Das Stadion in Magdeburg ist zu baufällig. Dessau verfügt dagegen über eine moderne Anlage. Die Stadt hat sich sehr um uns bemüht«, erklärt Thoralf Bennert die Auswahlkriterien. Der Trainer kann am Sonnabend ab 17 Uhr dennoch auf Unterstützung aus seinem Fußball-Dorf bauen. Zehn Busse kutschieren 700 Völpker über die Autobahn. 20 Busse brechen aus dem nur 13 Kilometer entfernten Helmstedt in Richtung Dessau auf.
Ob die mitreisenden Fans an die Sensation glauben? Wohl eher nicht. Immerhin hat Trainer Bennert die Bayern zwei Mal beobachtet. Zum einen zufällig vor der Auslosung beim Test gegen den 1. FC Union (5:1), zum anderen bewusst beim Bundesligastart gegen den HSV (2:0). »Ich war nicht umsonst in Hamburg. Die Münchner haben wenige Schwachstellen. Wir wollen versuchen, sie möglichst lange zu ärgern«, meint Bennert.

»Chancen liegen bei einem Prozent«

»Unsere Chancen liegen bei einem Prozent. Wir können maximal im Elfmeterschießen gewinnen«, sagt Dennis Fuchs. Der 33-jährige Offensivmann hat die Völpker in den DFB-Pokal geschossen - mit einem Traumtor zum 3:2-Endstand im Landespokalfinale gegen Dessau 05. Linksaußen Ronny Bree hat zumindest keine Angst vor großen »Tieren«. »Ich spiele wahrscheinlich gegen Sebastian Deisler oder Andreas Görlitz. Aber Namen interessieren mich nicht«, sagt der 22-jährige Mittelfeldspieler.
Während beispielsweise Topspieler der Bayern täglich mit einer Nobelkarosse zum Training fahren, summt Bree mit einem Moped, Marke Simson, durch die Lande. Die ist Baujahr 1981 und hat über 22000 Kilometer auf dem Buckel. Doch für die kurzen Wege zwischen dem Wohnort Ummendorf, dem Sportplatz in Völpke und der Arbeit im Gewerbegebiet Marienborn reicht sie vollkommen aus. Der Fräser einer Maschinenbaufirma ist mit seinem Leben im Reinen. Damit er regelmäßig trainieren kann, nimmt der ehemalige Jugendspieler des 1. FC Magdeburg sogar in Kauf, jede zweite Woche Nachtschicht zu haben. Sein Chef ist sportinteressiert und erspart Ronny Bree die Spätschicht.
Die Zukunft seines Vereins sieht rosig aus. Ein Teil der Einnahmen könnte in die Sportanlage und die Mannschaft gesteckt werden. Der Aufstieg in die Oberliga soll kein Wunschtraum bleiben. Ab Sonntag müssen die Völpker jedoch auf dem Rasen ohne Bennert auskommen. Der langjährige Spielertrainer steht dann nur noch als Coach zur Verfügung. Sein Abschied könnte schöner nicht sein. Bennert: »Es stand schon vor der Auslosung fest, dass ich mich im DFB-Pokal kurz vor Schluss noch einmal selbst einwechseln werde. Dass es gegen die Bayern geht, ist ein Traum.«


Der TSV, 5. Liga Torhüter: Frank Pietruska (33, selbständig im Getränkeautomatenservice), Sebastian Deumland (22, Student), Sebastian Reiß (22, Student). Abwehrspieler: Ingo Hermanns (30, Fliesenleger), Ronny Röper (32, Diplom-Ingenieur), Kai Heimrath (20, Zivildienstleistender), Mario Lürding (25, Angestellter), Dirk Baumann (30, Versicherungskaufmann), Alexander Schröder (24, Bauarbeiter). Mittelfeld: Michele Putaro (30, Physiotherapeut), René Heckeroth (24, Bauservice), Matthias Zahn (29, Sportwissenschaftler), Mirko Behrens (24, Systemkaufmann), Christian Helmke (23, IT-Kaufmann), Ronny Bree (22, CNC-Fräser). Angriff: Sven Potyka (36, nicht bekannt), Dennis Fuchs (33, Marketing), Christoph Springmann (18, Auszubildender), Nico Bremse (27, Lagerarbeiter), Björn Ohnesorge (18, Gymnasiast), André Linzert (29, Installateur). Trainer: Thoralf Bennert (39, Diplom-Sportlehrer). Co-Trainer: Andreas Brisch (41, Installateur). Physiotherapeutin: Doreen Kauczor (30.). www.tsv-voelpke-fussball.de